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kingofmusic

Posted on 3.3.2022

Aussteigerdrama mit kafkaesken Tendenzen „Warum verlangten Menschen überhaupt immerzu Antworten, warum ließ man die Dinge nicht einfach geschehen?“ (S. 358) Viele träumen davon, manche machen einfach: auswandern. Etliche brauchen Kameras dabei, um die Voyeurismus-Gier der Gesellschaft zu befriedigen. Okay, anderes Thema – belassen wir es dabei. Werner Köhler hat mit „Die dritte Quelle“ (erschienen 2022 im Verlag Kiepenheuer & Witsch) einen Aussteigerroman vorgelegt, der aber weit mehr ist, als er sein will. Sein Protagonist Harald Steen ist Mitte 60, lässt sein Bankerleben hinter sich, mietet sich auf einem Containerschiff ein und reist nach Floreana – eine kleine Insel, die zum Galapagos-Archipel gehört. Dort ereignete sich in den 1930er Jahren die sog. „Galapagos-Affäre“, bei der unter mysteriösen und bis heute nicht eindeutig geklärten Umständen einige Menschen spurlos verschwanden. Soweit zum historischen Aufhänger des Romans. Mir sagte die genannte Affäre bis dato nichts – wie gut, dass das Allgemeinwissen durch Bücher wie dieses aufgefrischt wird ha ha ha. Von Anfang an hat Herr Köhler mich mit seiner bildhaften und atmosphärischen Sprache begeistert. Bei einem mehrwöchigen Aufenthalt in Guayaquil (vor der Weiterfahrt nach Floreana) spaziert Harald Steen durch die Stadt und man ist als Leser mittendrin statt nur dabei – man spürt die Hitze, sieht den Staub, die Müllberge, sieht die Ratten huschen… Auf Floreana angekommen arbeitet Harald Steen kontinuierlich an der Umsetzung seiner Pläne… Ab hier beginnt die Geschichte mystisch-nebulöse Tendenzen mit kafkaesken Zutaten zu entwickeln, die die geneigte Leserschaft (teilweise) herausfordern, aber der grundsätzlichen Qualität dieses Romans keinen Abbruch tun. Soll heißen: die Grenzen zwischen Realität, Wahnsinn und Wunschdenken verschwimmen immer mehr, so dass man als Leser unweigerlich anfängt, den (personalen) Erzähler als unzuverlässig wahrzunehmen. Letztlich bleibt die (wahre) Intention des Protagonisten genauso mysteriös wie es die Galapagos-Affäre war, ist und wohl auch für immer bleibt. Wer eine Mischung aus (moderner) Robinsonade, Aussteigerdrama und kafkaeskem Surrealismus mit butterweichen Grenzen zwischen Realität und Traum sucht, sollte hier unbedingt ein (lesendes) Auge riskieren! 4* und eine Leseempfehlung! ©kingofmusic

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