Wordworld
Von Nicola Yoon kannte ich schon "Du neben mir" und ihre Kurzgeschichte in der Anthologie "Blackout". Ausschlaggebend waren zugegebenermaßen jedoch weder der Name der Autorin noch der interessante Klapptext, sondern das wunderhübsche Cover. Zu meiner Entschuldigung: habt Ihr Euch das mal angeschaut? Die Silhouetten zweier schwarzer Jugendlicher in schmissiger Tanzpose und der weiße, geschwungene Titel heben sich von einem türkisblauen Hintergrund mit rosafarbenen Blüten ab. Geht es eigentlich noch schöner? Zum Glück hat mich mein optischer Eindruck nicht in die Irre geführt und hinter "Als wir tanzen lernten" verbirgt sich eine zuckersüße, emotionale, witzige und facettenreiche Geschichte, die definitiv ein spätes Monatshighlight des Februars 2022 war. Gelesen habe ich die Geschichte übrigens wieder als Buddyread mit Sofia von @SofiasworldofBooks (schaut unbedingt auch bei ihrer Rezension vorbei). Wir hatten also endlich mal wieder einen Glücksgriff! Erster Satz: "Bücher üben keinen Zauber mehr auf mich aus." Nach dem mit Abstand traurigsten ersten Satz aller Zeiten geht es stetig bergauf für unsere junge Protagonistin Evie. Seit sie ihren Vater dabei erwischt hat, wie er ihre Mutter betrügt, glaubt sie nicht mehr an die Liebe. Doch dann hat sie nicht nur eine magische Begegnung mit einer alten Frau und hat danach plötzlich Visionen der Liebesgeschichte von Paaren in ihrer Umgebung, sondern wird auch noch von einer Tanzschule zusammen mit einem wildfremden Jungen bei einem Tanzwettbewerb angemeldet. Ein paar Zufälle, Tanzschritte und Dates später ist sie dann also genau das, von dem sie sich selbst vorgenommen hat, es niemals zu sein: verliebt. "Als wir tanzen lernten" beherbergt eine verrückte Mischung aus Fantasy, Jugendbuch und Liebesgeschichte, die zwar etwas schräg wirkt, aber von der ersten Seite an funktioniert. Mit magischen Motive, einem Tanzwettbewerb, ersten Malen, Schulprobleme, Freundschaft, Trauer, Familie und allen Arten der Liebe ist die Geschichte sehr vielseitig und facettenreich. Leider werden die einzelnen Motive jedoch nicht durchgängig in die Handlung mit eingeflochten und treten eher alternierend auf. Evies Visionen tauchen beispielsweise nur ab und an mal auf und auch die Tanzszenen werden immer wieder für Dates und Szenen im Freundeskreis pausiert. Statt dass sich Evie gleichzeitig mit ihren Visionen, ihren neuen Gefühlen, ihrem Alltag und den Tanzproben auseinandersetzt, geraten die anderen Motive für einen Moment vollständig in den Hintergrund, wenn sich die Autorin mit einem von ihnen beschäftigt. Das ist nicht unbedingt störend, da zu jedem Zeitpunkt der Geschichte klar ist, weshalb die jeweilige Szene plotrelevant ist und ich mich aufgrund der liebenswerten Darstellung der einzelnen Szenen nie gelangweilt habe. Eine kontinuierliche Einbindung aller Motive hätte mir aber besser gefallen und den einzelnen Aspekten mehr Tiefe verleihen können. "Alle sagen, irgendwann im Leben kommt der Moment, in dem deine Mom und dein Dad nicht mehr bloß deine Eltern sind, sondern sich in echte Menschen aus Fleisch und Blut verwandeln. Niemand sagt einem, wie unheimlich dieser Moment ist. Und wie wunderschön." Ein Großteil der Anziehungskraft des Romans entspringt jedoch nicht der Handlung, sondern dem spritzigen, lebensnahen Schreibstil Nicola Yoons. Der tolle, leicht zynische, sehr sarkastische, aber definitiv liebenswerte Humor der Autorin durchtränkt dabei jede einzelne Seite. Es beginnt schon bei den Namen der Figuren - Xavier Darius und Yvette Antoniette - und zieht sich über verrückte Ideen wie Dinosaurier-Gestaltwandler-Romances bis hin zur erstaunlich treffsicheren Beschreibung alltäglicher Situationen. Zusätzlich lässt sie kontinuierlich eigene Wortneuschöpfungen miteinfließen, sodass wir bald das wunderbar flexibel einsetzbare Verb "lach-schaudern", den "Bullshitaufspürometer" oder natürlich die beiden Tanzfiguren die "Achselhöhlendrehung™" und der "Zehenzerquetscher™" kennen. "Wir trinken immer mehr und tanzen immer weiter, und wir sind laut und beschwipst und albern und alle so voller Liebe füreinander, dass ich gleichzeitig lachen und weinen möchte. Das Glück ist kompliziert. Manchmal muss man hart darum kämpfen. Aber manchmal - die besten Male - schleicht es sich von hinten an, umschlingt dich und zieht dich ganz nah an sich." Die Einbindung vieler unerwartete Gedanken und Übersprunghandlungen sorgt in Kombination mit den vielen Facetten der Handlung dafür, dass man ständig überrascht wird und gedanklich wach bleiben muss. Es kommen regelmäßig Kleinigkeiten vor, wie dass Evie Menschen regelmäßig mit Einrichtungsgegenständen vergleicht ("Wäre er ein Einrichtungsgegenstand, wäre er ein wirklich hübscher Flokati."), gerne mal über die passende Kopfbedeckung für den Club nachdenkt ("Ich spähe vom Eingang ins Dunkel wund wünsche mir eine Stirnlampe") oder anderweitige Dinge erzählt, mit denen man nicht gerechnet hätte ("Sie reißt sich die Kleider vom Leib. Nein, Scherz. Tut sie nicht.") und die mich kurz stutzen und dann schmunzeln ließen. Zusätzlich lockert die Autorin den Text durch die gelegentliche Einbindung von Chats, Listen und Songtexte auf. Dass sie dabei auf typische Tropes und oft genutzte Motive des Genres eingeht, diese aktiv thematisiert, überspitzt und parodiert steigert den Charme der Geschichte umso mehr. "Das Problem mit einem gebrochenen Herzen ist nicht, dass es dich umbringt. Das Problem ist, dass es genau das eben nicht tut." Auch die Figuren sind herrlich sympathisch und lebensecht gestaltet. Unsere Hauptprotagonistin und Ich-Erzählerin Evie ist eine wunderbare Erzählerin und führt in genau richtigem Tempo durch die Geschichte. Etwas schade fand ich nur, dass sie an einigen Stellen sehr passiv reagiert. Besonders beim Umgang mit ihren Visionen und den Informationen, die sie durch diese erfährt, fällt auf, dass sie vieles sehr schnell akzeptiert, nur wenig hinterfragt und noch weniger Anstalten macht, etwas zu unternehmen, um den Verlauf der Geschichte aktiv zu beeinflussen. Auch den männlichen Loveinterest, X, konnte ich sofort ins Herz schließen. Er ist ein leicht chaotischer Musiker mit der Tendenz, zu allem Ja und immer die Wahrheit zu sagen, was natürlich in Kombination mit der sarkastischen Evie zu einer Menge unterhaltsamer Interaktionen führt. Mein Lieblingscharakter ist jedoch mit Abstand die Tanzlehrerin Fifi, die mich mit ihrem beißenden Humor, der sehr direkten Art und ihren lustigen Wortkreationen mehr als einmal schallend zum Lachen gebracht hat. Leider ist ihr osteuropäischer Akzent etwas anstrengend übersetzt, darüber kann man angesichts von Kalauern wie "Wenn ich sage, lernt euch kennen, ich nicht meinte es im biblischen Sinne" oder "anstellen tollpatschig wie neugeborene Oktopus-Babys" aber sehr gut hinwegsehen. "Sie schnaubt abschätzig. "Wie heißt Spruch von Pferd und Zaumzeug?" "Man soll das Pferd nicht von hinten aufzäumen", antwortet X. "Ja genau." Sie nickt. "In diesem Fall, kümmere dich nicht um Zaumzeug, weil Pferd ist vielleicht tot." Davon abgehalten, "Als wir tanzen lernten" die Höchstpunktzahl zu geben hat mich neben der inkonsistenten Verwendung der Motive nur das Ende. Hier tauchten dann leider noch einige Unstimmigkeiten auf, die dafür sorgten, dass diese Geschichte zwar ein Herzensbuch, aber eben kein 5-Sterne-Highlight wurde. Zum einen empfand ich Evies Meinungswechsel als viel zu abrupt, zum anderen wäre das Ende vielleicht vermeidbar gewesen. Davon abgesehen, dass das Ende sich alles ein wenig leicht macht, werden alle Elemente und Motive der Handlung auf wundervolle, aber herzzerreißende Art und Weise zusammengeführt. Am besten zusammenfassen kann man das letzte Drittel mit einem Zitat aus dem Buch: "Es war schön. Aber es war auch traurig. Beides zugleich. Ich weiß nicht, warum es im Leben derart oft so ist." Fazit: "Als wir tanzen lernten" ist eine zuckersüße, emotionale, witzige und facettenreiche Geschichte über alle Arten von Liebe, Anfänge und Enden und die Hürden des Lebens. Auch wenn Nicola Yoon die vielen Motive der Handlung nicht konsequent genug verfolgt, ist die Geschichte von Evie und X zum überraschenden Monatshighlight geworden! 4,5 / 5 Sterne