Dreamworx
Der Fluss setzt seinen Weg zum Meer fort, ob das Rad der Mühle gebrochen ist oder nicht. (Khalil Gibran) 1649. Die Mühle sichert der 30-jährigen Sophie und ihrem Vater ihr Auskommen in einem kleinen Dorf im Westerwald, das noch immer unter Räubereien der Soldaten leidet, obwohl der Krieg beendet ist. Ihr Ehemann wurde vor 4 Jahren Soldat, seitdem ist Sophie ohne Nachricht von ihm, trotzdem ist sie ihm weiter treu ergeben. Als eine Leiche ohne Kopf im Mühlengraben gefunden wird, kursieren im Dorf bald die wildesten Gerüchte. Dann verschwinden immer mehr Dinge und unbekannte Geräusche in der Nacht lassen Sophie nicht zur Ruhe kommen. Während Magd Martha an einen Spukgeist glaubt, macht sich Sophie pragmatisch an die Suche nach den Ursachen. Dann kehrt ihr Ehemann Dietrich zurück… Annette Spratte hat mit „Ein Sonett für die Müllerin“ einen sehr unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der ihre Leserschaft nicht nur eine Zeitreise ins 17. Jahrhundert antreten lässt, sondern auch menschliche Schicksale gekonnt mit geschichtlichem Hintergrund verbindet und dabei sogar noch leichte kriminalistische Züge zum Vorschein kommen lässt. Der flüssige, farbenfrohe und empathische Erzählstil katapultiert den Leser direkt an Sophies Seite, wo man hautnah die kommenden Ereignisse mitverfolgen darf. Interessant webt die Autorin sowohl eine Leiche und sämtliche Spekulationen rund um den Toten ein, lässt den Dorfklatsch aufleben, während die fleißige Sophie nicht nur den Haushalt mithilfe von Magda und Knecht Konrad stemmt, sondern auch die Hauptverantwortung für die Mühle trägt, da ihr alter Vater dies gesundheitlich nicht mehr schafft. Ihr Glaube trägt sie durch die harte Zeit und lässt sie nicht verzweifeln, obwohl sie durch ihren kriegsgeschädigten Ehemann so manche Tortur zu erleiden hat. Die mysteriösen Vorfälle, aber auch die kleinen Aufmerksamkeiten, die wie durch Zauberhand erscheinen, schaffen eine gelungene Abwechslung in Sophies Alltag, die ihre Seele streicheln oder ihren wachen Geist fordern. Spannend ist auch Marthas Unkerei, die sich durch ihren Aberglauben manifestiert und zeigt, wie sehr die Menschen etwas in ungewöhnliche Situationen hineininterpretiert haben. Die Handlung beinhaltet eine Vielzahl von Themen, die gut nebeneinander bestehen. Da finden sich Kriegstraumata neben häuslicher Gewalt wieder, unterschiedliche religiöse Ansichten und das damalige Leben und die Rolle der Frau in der Gemeinschaft. Auch der christliche Aspekt spielt hier eine große Rolle, ist aber sehr feinsinnig in die Geschichte eingearbeitet. Neben Nächstenliebe, Hoffnung und Vergebung geht es vor allem in den Glauben an Gott und den Trost, den er spendet. Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet und in Szene gesetzt, mit ihren glaubhaften menschlichen Zügen können sie schnell überzeugen, einige von ihnen wachsen dem Leser sehr schnell ans Herz, aber auch der Bösewicht darf natürlich nicht fehlen. Sophie ist eine fleißige, warmherzige und vor allem fürsorgliche Frau, die sich um ihre Lieben kümmert und ihnen jegliche Unterstützung angedeihen lässt. Sie besitzt eine innere Stärke, für die man ihr Respekt zollen muss, denn sie lässt sich nicht unterkriegen, so schlimm das Schicksal ihr auch mitspielt. Martha ist eine kauzige Frau, doch sitzt ihr Herz am rechten Fleck. Sie sagt, was sie denkt und stellt sich vor diejenigen, die Hilfe brauchen. Dietrich ist ein Teufel in Menschengestalt, der seinen Unmut an den Schwächeren auslässt, vor allem aber an seiner Frau. Aber auch Konrad und Sophies Vater haben tragende Rollen in dieser abwechslungsreichen Geschichte. „Ein Sonett für die Müllerin“ ist ein historischer Roman, der nicht nur mit menschlichen Schicksalen und dem täglichen Alltag der damaligen Zeit wunderbar fesselt und unterhält, sondern dem Leser auch emotional und gedanklich einiges zu bieten hat. Absolute Leseempfehlung!