Profilbild von kingofmusic

kingofmusic

Posted on 25.2.2022

Poetisch-Lyrische Medienschelte mit Schönheitsfehlern Ein Mann steht auf einer Brücke und springt. Im letzten Moment hält er sich fest, zieht sich wieder hoch. Kurze Zeit später springt er doch – um heldenhaft ein Leben zu retten statt seins zu beenden. Das ist in Kurzform der „Aufreißer“ von „In die Arme der Flut“ von Gerard Donovan. Der Roman ist im letzten Jahr (2021) in der Übersetzung von Thomas Gunkel im Luchterhand Verlag erschienen. Hätte Herr Donovan eine Kurzgeschichte oder Novelle aus der Geschichte gemacht – ein Preis wäre ihm (von meiner Seite aus *g*) sicher gewesen. Denn was er auf den ersten etwa 100 Seiten für ein sprachliches Feuerwerk entfacht, ist sensationell. Selten wurde die Absicht der Selbsttötung, die zerstörerisch-zerfressenden Gedanken und Selbstzweifel, warum es so weit kommen konnte in so eine famose Stimmung „gekleidet“. Hinzu kommt die großartige lyrisch-poetische Beschreibung des sich langsam aufwallenden Nebels, das Rauschen des Wassers in 35 Metern Tiefe – ich habe jetzt noch Gänsehaut. Doch Herr Donovan wollte (leider) mehr. Denn was dann folgt, ist eine Abrechnung mit dem kranken System (nicht nur) der (a)sozialen Medien, sondern auch sensationsgeilen Reportern, machthungrigen Politikern (Trump und sein „real“-Twitter-Account lassen grüßen) und den Lemmingen (sprich: normale Bürger), die jeder „Sensation“, jedem neuen „Kult“ ungefragt hinterherhecheln und blind sind für die Wahrheit. Alles schön, alles gut – es braucht diese „Abrechnung“ mit den Medien. Aber muss der (sprachliche) Bruch so groß sein? Okay, wenn ich die Inhalte der Abschnitte miteinander vergleiche und in Beziehung zu der Sprache setze, in der sie niedergeschrieben wurden, passt es wieder perfekt. Also hat Herr Donovan doch alles richtiggemacht? Leider nicht ganz. Denn mit dem letzten Abschnitt katapultiert der Autor die geneigte Leserschaft in einen derart abstrusen Plot, dass man sich verwundert die Augen reibt und sich fragt „Ist das ein Buch oder mehrere, die von der Qualität so unterschiedlich sind wie Tag und Nacht?“ Thriller-Leser mögen „abgebrühter“ sein, aber als Liebhaber von Lyrik, Poesie und dem Zauber der gepflegten Sprache „Augenzeuge“ eines minutiös geplanten und durchgeführten Selbstmords „live“ auf Youtube zu werden, war für mich hart an der Grenze des Erträglichen. Zum Glück gibt es ganz zum Schluss noch ein paar lyrische und poetische Absätze – auch wenn die den Plot leider nicht mehr besser machen. Summa summarum komme ich hier auf 3,5*, die ich aber wegen der teils wunderschönen Sprache auf 4* aufrunde. ©kingofmusic

zurück nach oben