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Nüchtern, fast sachlich erzählt der Schriftsteller und Journalist Joachim B. Schmidt seinen Tell. In einigen, nicht unwesentlichen Punkten weicht er dabei von der bekannten Schweizer Sage und Schillers Drama ab. Und doch erinnert sein Schreibstil an ein Bühnenstück. Das liegt an den kurzen Sequenzen, in denen jeweils ein Akteur zu Worte kommt - die Geschichte wird so aus wechselnder Perspektive fortgeführt. Diese schlaglichtartigen Auftritte behindern jedoch nicht etwa den Lesefluss und schon gar nicht Schmidts dichten Erzählstrang – im Gegenteil, gerade die meist knappe Darstellung und Sprache führen uns nah an das entbehrungsreiche Leben der Bergbauern und gewähren konzentrierte Einblicke in das Wesen der Protagonisten. Tell ist ein harter Mann, die Jagd in den schwer zugänglichen Bergen ist sein Tagwerk, zu unerbittlichen Jägern sollen auch die Söhne erzogen werden; die Familie ist aber eigentlich nur Beiwerk, spröde und harsch agiert er hier. Der Vogt Gessler hingegen, ist er nicht eigentlich ein weicher Mann? Wir sehen ihn träumerisch über Heimat, Natur, die Stellung des Menschen philosophieren, mit Liebe und Herzenswärme denkt er an die ferne Frau und Tochter. So erscheint Gessler als zweifelnder Vasall der regierenden Habsburger, widerlich sind ihm die derben Gefolgsleute, widerwillig nur führt er die Forderung nach Hutgruß und Apfelschuss aus – einfache Leute zu bestrafen empfindet er ganz eigentlich unter seiner Würde. Gessler und Tell werden so gleichsam als im System gefangen, in ihren Rollen erstarrt dargestellt. Joachim B. Schmidt gelingt diese Verkehrung der Charaktere, die sein Buch so interessant, ja spannend macht. Als es zum Schluss zur fatalen Begegnung in der hohlen Gasse kommt, erscheint Tell nicht als für sein Volk stehender Freiheitskämpfer, sondern wirkt als rachsüchtiger, hinterhältiger Mörder - allerdings wird er, den Todeskampf Gesslers beobachtend, schließlich weicher, menschlicher. Auch Gessler findet nun Erlösung – "jetzt bin ich Mensch … jetzt sterbe ich als Mensch."