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katkaesk

Posted on 21.2.2022

Mit Aibohphobia legt Kurt Fleisch, so das Pseudonym des Autors, einen Roman im Briefstreitgespräch vor, der sich mit der Frage nach der Wirklichkeit beschäftigt. Dr. H., anerkannter Psychiater hat einen äußerst interessanten Patienten namens S., der trotz mehrmaliger Einweisung und starker Medikation an Wahnvorstellungen leidet. S. entpuppt sich als ideales Forschungsobjekt für Dr. H., der den Ursprung aller Geisteskrankheiten (sic!) entdeckt haben will. Gekonnt gewitzt bewegt sich Fleisch zwischen Teilchenbeschleuniger und Zwangsmaschinen umher, baut Smart Bunker Automation, in der Alexa auf den Namen Trotzki hört, lässt Flucht ermöglichen und lässt dabei nie das Ziel aus den Augen, was denn nun Realität sei: Aber es ist eine andere Realität, die wirklich ist. Zwischen abgedruckten Rezepten für verschreibungspflichtige Medikation, wunderschönen, schwarz gestalteten Seiten mit Gehirnhälften zu je vier Kapiteln stößt man sich vielleicht an den veralteten Begrifflichkeiten wie geistige Störung, aber nie an der gelungenen Positionierung einer Metaebene im Text, der sich auch immer buchstäblich zeigt: Etwas verbringe ich meine Zeit seit dem gestrigen Tage durchgehend bis jetzt, sogar während des Schreibens dieses Briefes, vor meinem Schlafzimmerspiegel, in dem ich mich zu meinem Überraschen nicht mehr sehen kann. Ich bin einfach verschwunden. Die IT-Affinität des Autors zeigt sich am begeisterten Einfall sich selbst auflösender Programme, die in KERNEL PANIC: FATAL EXCEPTION enden und den Leser:innen unweigerlich ein memento mori der besonderen Art beschert: Was ist bleibt, wenn nichts mehr ist und wo befindet sich die Shell? Was ist nun mit der Hardware oder wie es Fleisch sagen würde: Maschinen und Gehirne, was naturgemäß ein- und dasselbe ist. Poetisch und dem Roman mehr Tempo verliehen, zwischen Diener, Reisen, Medikamentenbesorgungen rettet sich Fleisch aus der Misere mit einem Blick ins Universum: Ich sehe tausend Sterne, die nicht mehr existieren, die längst verglüht und vernichtet sind. Verschwinden und auftauchen, entfliehen und erscheinen lässt sich das Krankheitsbild einer kreativ angelegten Psychose erraten, die sich selbst in kräftige Bilder ein- und untermauert. Die intellektuell anspruchsvolle, zuweilen antiquierte Sprache macht nicht immer, aber meistens Spaß. Aibohphobia ist übrigens die Angst vor Palindromen, also Wörter, die von vorne oder von hinten gelesen dasselbe ergeben. Eine gedankliche Zwangszuordnung lässt dieser Roman allerdings nicht zu. Kreative Geister werden nicht davor zurückscheuen, den Versuch zu starten, das Buch auch auf der letzten Seite zu beginnen: zu groß war die Freude, diese kreative Prosa nur einmal zu lesen.

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