phantastische_fluchten
Amara fühlt sich langsam aber sicher heimisch in der Schule der Magier. Da sie das einzige Bauernmädchen unter privilegierten Schülern aus reichem Hause ist, fühlt sie sich täglich herausgefordert. Gerade Gelion, der Goldjunge, stellt Amara immer wieder auf die Probe. Obwohl das Mädchen weiß, dass sie unter Beobachtung steht und Aufmerksamkeit vermeiden muss, lässt sie sich immer wieder auf gewagte Unternehmen ein, so dass sie kurz vor dem Rauswurf steht. Eines Tages wird ein Gefangener in die Nebelfeste gebracht und Amara ist sich sicher, diesem Mann schon einmal begegnet zu sein. Obwohl der Gefangene in einem geheimen, unerreichbarem Raum untergebracht ist, gelingt Amara das Unmögliche. Sie schafft es, den Raum zu finden und mit dem Gefangenen zu sprechen. Was sie erfährt, erschüttert ihr Weltbild und ihren Glauben an das Gute. Nur, wen kann sie in das Geheimnis einweihen, das sie zu verzehren droht? Kommentar: Nach dem ersten Band war ich gespannt, ob der Autor den Spannungsbogen halten kann. Meines Erachtens ist dieser Band etwas ruhiger aber die Geschichte entwickelt sich rasant und weist einige Überraschungen auf. Amara hat in Munai und Fienna zwei Freundinnen gefunden und auch Riadne stellt sich bald auf ihre Seite. Und natürlich zieht es Amara zu dem schwarzen Schaf der Schule, Arken. In dem älteren Schüler Navander findet sie so etwas wie einen Mentor, der ihr hilft, ihre Wissenslücken zu füllen und Unterrichtsstoff nachzuholen. Auch der Elf Iridial erteilt Amara, abseits der anderen Schüler, extra Unterricht, denn er erkennt ihr Potenzial und möchte es fördern. Dass er sich dabei nicht immer an die Regeln hält, kommt Amara entgegen, denn sie hat schon länger gemerkt, dass die Vorgaben der anderen Lehrer ihre magische Gabe eher einschränken als fördern. Mit der Zeit merkt der Leser durchaus, dass es auf der Nebelfeste nicht so harmonisch zugeht, wie es auf den ersten Blick scheint. Gerade die Gestalt des »Müllers« wirkt sehr bedrohlich und als ihm eine Untersuchung anvertraut wird, um einen Eindringling zu finden, merken die Schüler, wie unnachgiebig und grausam er sein kann. Als Munai und zwei andere Schüler sich einer Mutprobe stellen und in die Höhle des Duerga eindringen, sehen sie schreckliches. Das alles lässt Amara an den Lehrern der Nebelfeste zweifeln. Für den Leser ist klar, dass »der Eine Weg« für die Ausbilder auch der einzige Weg ist. Abweichler im Glauben sind Frevler und werden verfolgt. Das grenzt an Fanatismus und wir wissen, auch in der heutigen Zeit, dass Fanatismus nie zu etwas Guten führt. Erschreckend, dass hier formbare, beeinflussbare Kinder genommen werden, die noch nicht erkennen können, dass sie benutzt werden. Obwohl die Charaktere, bis auf Navander, alle erst um die zwölf Jahre alt sind, hat dieses Buch nichts kindliches an sich. Es gibt keine Spiele, wenig Freude, nichts, was Kindern ansonsten gerne unternehmen. Es zählt nur die Ausbildung und die Tage sind angefüllt mit Lernen und Kampftraining. Es gibt kaum einen Moment der Pause zwischendrin, keine Ruhe und wenig Freude. Ich persönlich finde das sehr erschreckend, es sind Kinder, denen die Kindheit geraubt wird. Ich hatte zuerst bedenken, eine Serie zu beginnen, dessen Hauptcharakter erst zwölf Jahre alt ist aber Horus W. Odenthal lässt Amara nichts kindliches. Von der Waldläuferin Slangni erwarte ich noch einiges. Sie zeigt Amara vom ersten Tag an ihre Abneigung und sie macht dem Mädchen das Leben schwer. Sie sagt Amara klipp und klar, dass sie nichts an der Schule verloren habe. Ein Bauernmädchen, eine Hexenkind, dass nie fähig sein wird, den Anforderungen zu genügen. Ich frage mich, vorher diese Abneigung kommt und warum Slagni unbedingt möchte, dass Amara aus der Schule fliegt. Ich denke, da wird uns noch einiges offenbart. Auch Iridial wirkt sehr ambivalent. Er ist ein Elf und sollte somit die Magie der Elfen unterrichten, wie sie vorgeschrieben ist. Aber er weicht immer wieder vom vorgegebenen Pfad ab und zeigt Amara Dinge, die eine Novizin nicht wissen und schon gar nicht anwenden dürfte. Amara zeigt ein intuitives Verständnis für die Lehre der Magie und dringt immer tiefer in die Geheimnisse vor. Das wirkt nicht unglaubhaft. Sie ist keine strahlende Heldin sondern ein Mädchen, eine Außenseiterin, die ihren Platz im Leben sucht. Die Angst davor hat, wieder in die Armut entlassen zu werden aus der sie kommt. Magie ist die Rettung, ein Anker, ein Mysterium, das es zu erlernen gilt. Obwohl es sich um eine spannende Geschichte handelt, die keinesfalls etwas mit Harry Potter gemein hat, muss man an einigen Stellen trotzdem an Hogwarts denken. Vor allem wenn der Haumeister Granzgod Nachts durch die Gänge schleicht und alles kontrolliert. Oder Bhuruk-Maj, die Lehrerin der Pflanzenkunde, die niemand ernst nimmt, wie Professor Sprout. Trotz allem finde ich diese Geschichte reifer und spannender. Sprachlich gibt es nicht auszusetzen, Horus W. Odenthal weiß meisterhaft zu erzählen und Spannung aufzubauen. Ich habe schon in Band eins moniert, dass es keine Karte und kein Personenregister gibt. Dazu hat sich der Autor folgendermaßen geäußert: Amara stammt aus einem kleinen, hinterwäldlerischen Dorf und kennt nichts von der Welt. Zusammen mit ihr soll der Leser die Welt langsam kennenlernen und Schritt für Schritt mit ihr erkunden. Für Band eins eine gute Idee aber hier, bei Band zwei, hätte man durchaus eine Karte bereitstellen können. Ich finde es schwierig, mir das »Idirische Reich« vorzustellen, dessen Eroberungen oder auch das «Heilige Ostnaugarische Reich« mit seinen Grenzen. Leider ist die Website des Autors inaktiv, so dass man auch dort nicht nachschauen kann. Das sollte aber niemanden vom lesen dieser spannenden Erzählung abhalten. Fazit: Band zwei hält was Band eins verspricht. Obwohl die Handlung nur innerhalb der Schule und deren Umgebung stattfindet, weiß der Autor zu fesseln und den Spannungsbogen hoch zu halten. Band drei habe ich schon begonnen.