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Caillean

Posted on 2.2.2022

Unterschätze niemals ein „unsichtbares“ Zimmermädchen Molly Gray ist fast unsichtbar, wenn sie in ihrer Uniform durch die Zimmer des Regency Grand Hotels wuselt und jedes Staubkorn aufspürt. Für sie ist es eine Berufung, Zimmermädchen zu sein, und nach dem Tod ihrer Großmutter (mit der sie zusammenlebte) sucht sie umso mehr Ablenkung in ihrem geliebten Beruf. Doch ihr sorgfältig strukturiertes Leben läuft völlig aus dem Ruder, als Molly in einer Suite einen Hotelgast findet – mausetot. Obwohl sie sofort die Hotelleitung alarmiert und diese wiederum die Polizei – und sie damit nach ihrer Ansicht alles richtig macht, was sie aus Columbo-Filmen kennt - gerät Molly ins Visier der Ermittlungen. Denn zur Ehefrau des Hotelgastes pflegte Molly ein freundschaftliches Verhältnis, das über den Status Gast und Hotelangestellte hinausging. Und so findet sich Molly plötzlich unter Mordverdacht wieder – und muss beweisen, dass doch alles ganz anders war, als die Polizei glaubt… Molly Gray ist eine Figur, die sehr unbedarft wirkt. Da das Buch aus der Ich-Perspektive erzählt ist, dringt man tief in die Gedankenwelt von Molly ein und lernt sie in ihrer besonderen Art besser kennen. Ich bin kein Spezialist auf dem Gebiet und möchte mich hier nicht in die Nesseln setzen, aber für mein Empfinden trägt Molly leicht autistische Züge. So nimmt sie z.B. Redensarten oft wörtlich, hat Schwierigkeiten Freundschaften zu schließen (zumindest wird das von der Autorin so vermittelt) und ist am glücklichsten, wenn sie ihre tägliche Routine leben kann. Das Putzen der Zimmer im Hotel ist für sie eine Lebensaufgabe, der sie mit größter Hingabe nachgeht. Wenn andere ihre hohen Hygienestandards nicht teilen, reagiert sie sehr ängstlich. Das machte sie für mich einerseits zu einer faszinierenden, aber auch zu einer mitunter schwierigen Protagonistin. Denn sie hat andere Denkstrukturen als ich und ich hatte anfangs etwas Mühe, mich in sie hineinzuversetzen. Dennoch war Molly für mich eine sehr liebenswerte Person. Damit komme ich auch zu meinem Kritikpunkt an dem Roman: nachdem ich über 8 Stunden versucht hatte, mich in Molly als Charakter einzufühlen und den Eindruck hatte, es geschafft zu haben, kommt die Autorin am Ende mit einer Wendung daher, die – zumindest für mich – Mollys Wesen komplett in Frage stellt. Ich habe mich tatsächlich gefragt: würde ein Mensch, wie ihn die Autorin über die gesamte Länge des (Hör-)Buches charakterisiert hat, so reagieren? So etwas tun? Für mich selbst komme ich zu dem Ergebnis: nein. Ich nehme ihr das nicht ab. Und so war das Ende zwar für mich ein gelungener Plottwist, aber nicht besonders realistisch. Sorry, Molly. Sorry, Nita. Vielleicht belehrt ihr mich in einem zweiten Band eines Besseren…aber für diesen ersten Roman: 3,5 Sterne mit Tendenz zur 4 😊 Fazit: Nita Prose hat mit Molly Gray eine unkonventionelle Figur erschaffen, die sowohl die Charaktere im Buch als auch die Leser höchstwahrscheinlich unterschätzen werden. Der Untertitel „Ein Zimmermädchen ermittelt“ ist aus meiner Sicht allerdings nicht ganz richtig – über weite Strecken hat man als Leser/Hörer das Gefühl, dass Molly selbst Getriebene der Entwicklungen ist. Das relativiert sich erst ganz am Ende des Buches, das noch einmal einige ganz unerwartete Wendungen bereithält. Anna Thalbach verleiht der mitunter etwas sonderbar anmutenden Molly Authentizität und eine glaubhafte Stimme.

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