Lesen macht glücklich
Muttersein und Horrorvorstellungen gehen Hand in Hand Im Vorfeld habe ich nicht weiter nachgeforscht, um was es in diesem Buch geht und es ist in allen Neuerscheinungen im Jahr 2021 bei mir schlicht untergegangen. Doch zum Glück habe ich es dann doch noch für mich entdeckt. Und was für ein Buch das ist. Es ist der pure Wahnsinn, der da im wahrsten Wortsinn vorherrscht und diesen kann man auf so vielen Ebenen interpretieren, was das Thema Kinder kriegen und Kinder haben (und vielleicht Kinder verlieren?) angeht. Was das mit Stephen King zu tun hat und warum mich dieses Buch so enorm mitgenommen hat, möchte ich euch in diesem Beitrag versuchen darzulegen. Der Wald, das gebende und nehmende Element Doch zunächst möchtet ihr sicher wissen, worum es in diesem Buch geht, richtig? Wäre ja auch gut, um meine Interpretation besser nachvollziehen zu können. Beginnen wir beim Anfang, der noch relativ klar erscheint. Da fahren Amira und ihr Mann Josef zu einer Hütte, die Josef in jungen Jahren immer mit seinem Vater aufgesucht hat. Zumindest, bis der in dem Wald, wo diese Hütte steht, aus mysteriösen, nicht näher erklärten Umständen umkam. Diese Hütte suchen sie auf, um sich ein gemütliches Wochenende zu machen, da beide einen Kinderwunsch hegen und Amiras Zyklus an diesem Wochenende perfekt dafür liegt. Doch wie soll das gehen, wenn diese Hütte schon jahrelang nicht mehr benutzt wurde und mit so einem Ballast belegt ist, wie dem Tod von Josef seinem Vater? Und dann taucht da noch ein fremder Mann auf und beobachtet Amira. Irgendwas scheint da schon nicht zu stimmen, eine leicht von der Realität entrückte Atmosphäre macht sich schon hier breit. Und auch Josef scheint dem Kinderwunsch nicht mehr ganz so zugetan. Nach einem Streit flieht Amira und findet eine Lichtung, die für Josef eine spezielle Bedeutung hat und wo sich beide dann doch lieben und ein Kind zeugen werden. Schnitt Amira ist hochschwanger und sie will mit Josef noch ein Wochenende zu zweit verbringen, was sie erneut zu dieser Hütte treibt. Amiras Schwangerschaft scheint keine leicht zu sein und auch Josef bringt sich nicht so ein, wie sich das Amira wünscht. Sie ist, wie es scheint, ganz auf sich allein gestellt und nach einem Streit der beiden, geht Amira erneut weg von der Hütte und wieder auf die Lichtung. Dort findet sie ein Kind, was ihr nicht bekannt vorkommt. Das Kind jedoch hat keine Probleme, mit Amira mitzugehen. Anscheinend hat das Mädchen sich verlaufen oder wurde zurück gelassen. Sie nimmt das Mädchen mit zur Hütte. Doch dort passiert das wundersame, sie geht auf Josef zu und begrüßt ihn als Papa und ihr Name ist Luise. Als Amira an sich herab schaut ist der Schwangerenbauch weg und Luise ihre Tochter ist schon drei Jahre alt. Schnitt Ab hier driftet die Realität von Amira immer mehr ab und sie verbringt ihre Zeit nur noch mit ihrer Tochter in der Hütte. Auch Josef ist irgendwann nicht mehr Teil der Geschichte, der Wald hat ihn gehen lassen, Mutter und Tochter jedoch nicht. Die beiden verbringen gefühlt Wochen und Monate in der Hütte, leben ein Einsiedlerleben, nur unterbrochen von albtraumhaften Begegnungen mit einer Hündin, die Amira von Anfang an auflautert und einem unbekannten Mann, der sich in den Büschen im Wald versteckt. Der Wald lässt Amira auch nicht gehen, jedenfalls nicht zusammen mit ihrer Tochter. Eines Tages, als ihr dann alles zu viel wird, fasst sie einen Entschluss und lässt ihr Kind allein im Wald zurück. Vielfältige Interpretationsmöglichkeiten Eine einsame Hütte in einem tiefen, dunklen Wald birgt nie etwas Gutes, das haben uns schon unzählige Filme und Bücher bewiesen. So ist es auch hier. Von Beginn an liegt über diesem Roman eine unheimliche Atmosphäre, irgendwas unheimliches liegt in der Luft und will sich nach draußen schälen. Doch was will uns diese Unheimlichkeit sagen? Wofür steht sie? Dazu kann jeder seine eigenen Interpretationen anstellen, die hier vielfältig eingebracht werden können. Da sind zum einen die dreifachen Phasen des jungen Elternglücks. Zum einen der Versuch ein Kind zu bekommen, dann die Schwangerschaft selbst und dann die Zeit mit Kind. Allen drei Phasen wohnt immer eine Anspannung inne, die Paare überfallen kann, wenn es um das Thema Eltern werden und sein geht. Dann steht auch die Zeit im Raum, die mit der Geburt des Kindes wie im Fluge vergeht und zu guter Letzt auch dieses albtraumartige, was Jessica Lind erschafft, die unwirklichen Sequenzen, vor allem als das Kind mit dabei ist, die für mich ständig das Gefühl erzeugen, dass Luise etwas zugestoßen sein muss und Amira sich im Geist dafür bestraft, immer wieder diesen Wald aufsuchen zu müssen und auch nicht mehr verlassen zu können. Für all das hat Jessica Lind mit ihrer bildhaften, gewaltigen Sprache eine Kulisse geschaffen, die wie gemacht ist für albtraumhafte Bilder, die auch gerne aus der Feder eines Stephen King hätten stammen können. Desto mehr man im Buch voran kommt, umso unheimlicher wird die ganze Geschichte, ganz so als wäre der Wald ein eigener, lebensspendender (-feindlicher) Organismus, der gibt und der nimmt und das auf seine ganz eigene grausame Weise, was die Autorin mit einer Szene ganz besonders verdeutlicht. Diese Geschichte hat alles in mir zum Vibrieren gebracht und ich bin froh, dass ich es nun doch noch gelesen habe. Es hat mich beim Thema Mutterschaft/Elternsein angepackt, aber ebenso die Seite Horror in mir zum Klingen gebracht, die hier mit ganz starken Bildern wiedergegeben wird. Insgesamt also ist Jessica Lind mit „Mama“ ein mehr als starkes Debüt gelungen, das so viele Möglichkeiten der Interpretation anbietet, so dass man es gar nicht alles in einem Beitrag erfassen kann. Ich freue mich hier schon auf weitere Texte der Autorin.