Furbaby_Mom
"Sie war strahlend wie das Licht und beschäftigte sich mit Farben; er hatte die Dunkelheit geatmet und in sich aufgenommen, so lange darin gelebt, dass sie nun in ihm lebte, ein Teil von ihm war." Ich hatte schon viel Positives über Evie Dunmores Oxford-Rebels-Reihe gehört und war unheimlich gespannt darauf, wie mein Reiheneinstieg mit dem vorliegenden 3. Band wohl verlaufen würde. Da jedes der Werke eine in sich geschlossene Geschichte darstellt, in welcher stets eine andere der 4 Freundinnen Annabelle, Lucie, Hattie und Catriona im Fokus steht, konnte ich der Handlung um die bis dato vom Glück recht verwöhnte Hattie Greenfield, die sich nach einem gesellschaftlichen Patzer in einer ungewollten Ehe mit dem von der feinen Gesellschaft verachteten Lucian Blackstone wiederfindet, prima folgen. Bis kurz vor dem Ende des immerhin fast 550 Seiten starken Schmökers war ich mir sicher, dass ich das Buch mit 5 Sternen bewerten würde, so sehr begeisterte mich der fesselnde, durch und durch einnehmende Schreibstil, in dem bildgewaltige Landschaftsbeschreibungen ebenso Platz fanden wie scharfsinnige Beobachtungen der beiden höchst unterschiedlichen und doch gleichermaßen vielschichtig ausgearbeiteten Hauptfiguren, aus deren Perspektive abwechselnd erzählt wird. Vor allem die neckischen Vergleiche hatten es mir angetan, ich liebte Formulierungen wie "orientierungslos wie eine Eule, die man rüde aus einem Nickerchen geweckt hatte". Die witzige Charakterbeschreibung "selektiv abergläubisch" habe ich direkt in meinen Sprachgebrauch übernommen. Die sündhaft heißen Passagen zwischen Lucian und Hattie gefielen mir ausgesprochen gut; zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl einen 1880er New-Adult-Roman (auch wenn Lucian schon 29 Jahre alt war) in den Händen zu halten - wohlerzogenes, heimlich rebellisches Mädchen aus gutem Hause hat eine schicksalhafte Begegnung mit attraktivem Bad Boy und kann ihm nicht widerstehen, herrlich! Auch mein Jane-Austen-Herz war höchst zufrieden, versprühte die Story doch gewisse "Stolz-und-Vorurteil"-Vibes – mit Betonung auf Vorurteil, insbesondere im Hinblick auf Lucians Charakter, der mir eindeutig der liebste Protagonist war. "Alarmierend. Ein Mann, der weiblichem Charme gegenüber immun war, war gefährlich, da einer Frau kaum eine andere Waffe zur Verteidigung ihrer Interessen blieb als ihr Charme." Neben dem romantischen Aspekt nahmen zahlreiche andere Themen bedeutend viel Raum ein, z.B. der Kampf um Frauenrechte, die schändlichen Arbeitsbedingungen in Minen, Kinderarbeit und das zum damaligen Zeitpunkt noch recht umständliche Fotografie-Verfahren. Zwischenzeitlich wurden mir insbesondere die politisch angehauchten, sachlichen Passagen etwas zu viel und ich hätte mir gewünscht, dass die so wunderbar aufgebaute, prickelnd aufgeladene Stimmung zwischen Lucian und Hattie noch öfter im Vordergrund gestanden hätte. Die Reise nach Schottland und die Schilderung der dortigen Bekanntschaften und Ereignisse waren genau nach meinem Geschmack, interessant gestaltet, klug und mal humorvoll, mal ernst und die Missstände anprangernd erzählt. Auf jeden Fall wird die gründliche Recherche der Autorin deutlich. Die Suffragistin Hattie war mir mit ihrer gütigen, unbeholfenen Art zu Beginn der Handlung deutlich lieber als gegen Ende; irgendwann hörte ich von ihr permanent nur noch 'ich, ich, ich', IHRE Wünsche, IHRE Bedürfnisse, IHRE Erwartungen, IHRE Anforderungen – auf Gefühle anderer nahm sie kaum Rücksicht. Angesichts ihrer eigensinnigen Attitüde und ihres z. T. belehrenden Tonfalls war ich immer mehr geneigt, Lucians anfängliche Meinung über sie als "verwöhntes Gör" zu teilen. Fräulein Moralapostel bog sich die Gegebenheiten immer fein zurecht, wie es ihr gerade passte. Allerdings verstand ich ihren Frust über die unfassbar ungerechte Rollenverteilung in der viktorianischen Gesellschaft, die Ausweglosigkeit, mit der Frauen konfrontiert waren - "[…] nur Weniges war empörender als Frauen, die lautstark einforderten, vor dem Gesetz wie Menschen behandelt zu werden". Sie sollten der 'Engel im Haus' sein, sich einzig um Haushalt, Gatten und Kinder kümmern, überhaupt war die Mutterschaft das allerhöchste Ziel. In der Ehe nahmen Frauen die untergeordnete Position ein, verloren beinahe sämtlichen Besitz und dadurch auch jegliche eventuelle Chance auf das daran gekoppelte Wahlrecht. Nachfolgend ein paar Worte dazu, warum ich einen Stern abgezogen habe. Diese Beurteilung ist direkt an die Handlung geknüpft und eine nähere Erläuterung folglich leider nicht ohne SPOILER möglich, daher an dieser Stelle eine ausdrückliche SPOILER-Warnung. *** ACHTUNG, SPOILER! *** Lucians Wandel zum liebenden Ehemann verlief absolut glaubwürdig; man spürte, wie er mit sich rang und sich erst nach und nach fallen lassen konnte. Dass er gegen Ende allerdings zum vernarrten Schoßhündchen mutiert, bei dem Hattie nur mit dem Finger zu schnipsen braucht, um ihren Willen zu bekommen, und dass ihr Aufenthalt in Frankreich, der in meinen Augen nur ihrem Ego diente, noch damit belohnt wird, dass Lucian ihr nachläuft und um sie betteln muss, fand ich zu viel des Guten. Ich mochte den Roman – die spannende Handlung, die Romantik, den Schreibstil, das Setting, die Figuren – bis dahin so, so gerne, aber diese Entwicklung am Ende hat mich kalt erwischt, ernüchtert und ganz aus der Stimmung gebracht, und in Kombination mit den teilweise zu ausschweifenden Politikpassagen letztlich dafür gesorgt, dass ich nur 4 Sterne vergeben kann. *** SPOILER-ENDE *** Fazit: Abgesehen von der Figurenentwicklung ganz am Schluss hat das Werk mich begeistert und ich habe die restlichen Bände der Reihe allesamt auf meine Wunschliste gesetzt. Klare Leseempfehlung für alle, die sexy Liebesromane mögen und ein Faible für historische Romane haben.