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gwyn

Posted on 28.1.2022

«Tststs, mein Spatz, nun beleidigst du aber deinen alten Vater. Ich spreche von free roaming, von der Trophäe eines wilden Löwen. Eines Wüstenlöwen, um genau zu sagen.› ... ‹Genau, es ist mehr als zehn Jahre her, dass dort ein Löwe zur Jagd freigegeben wurde. Ich habe sofort zugegriffen.› Daniel Laborde zu seiner Rechten nickt, er sieht neidisch aus, wo er doch eher auf Treibjagden geht, und das auch nur in Frankreich.» Colin Niels feiner Thriller «Nur die Tiere», Kriminalliteratur, hatte mir gut gefallen, und so war ich gespannt auf diesen Thriller. Auch dieser besondere Roman spielt zum Teil in den französischen Pyrenäen. Martin arbeitet als Ranger im Pyrenäen-Nationalpark, setzt sich massiv für die Erhaltung der Arten ein. Cannellito ist vermutlich der letzte Pyrenäenbär, doch seit Monaten fehlt jede Spur von ihm. Der engagierte Tierschützer setzt sich auch privat für die Tiere ein. So stößt er eines Tages bei Facebook in einer Gruppe auf das Foto einer jungen Frau, die sich mit einem Hightec-Jagdbogen vor einem erlegten Wüstenlöwen mit schwarzer Mähne in der afrikanischen Savannenlandschaft präsentiert. Doch wer ist sie? Niemand kennt die Frau und auch dieser Leg Holas, der das Foto hochgeladen hat, ist nicht nachzuverfolgen. Martin will die Jägerin aufspüren und zur Rechenschaft zu ziehen, insbesondere, da er herausbekommt, dass sie wahrscheinlich eine Französin ist. Die Jagd beginnt. Die zwanzigjährige Appoline ist eine Tochter aus gutem Haus und sie teilt mit ihrem Vater das Hobby der Großwildjagd. Wobei sie sich auf die Jagd mit Pfeil und Bogen konzentriert. Zum Geburtstag hat sie von ihrem Vater einen exquisiten Bogen geschenkt bekommen – aber das ist noch nicht alles. Als Krönung darf sie in Afrika einen Löwen erlegen, der zum Abschuss freigegeben wurde. Neben ihrem Hobby ist sie eng mit der Natur verbunden, achtet sie. Komuti ist ein Himba, der im Kaokoveld lebt, ein rund 50.000 Quadratkilometer großes Gebiet im Nordwesten Namibias. Die Dürre zwingt die Hirten, sich mit ihren Herden immer weiter weg vom Dorf zu bewegen. Ein Löwe hatte in einer Nacht die gesamte Ziegenherde von Komutis Familie zerfleischt. Die Schicksale dieser drei Protagonisten werden in drei Erzählsträngen zunächst einzeln erzählt, wobei der eine Strang im Jetzt und die beiden anderen aus Vergangenheit berichten. Die Stränge sind verknüpft zu einem großartigen Drama. Vielmehr sei zum Inhalt nicht verraten. Ob nun in die entlegene Bergwelt des Zentralmassivs der Pyrenäen oder die afrikanische Savanne, es gelingt Colin Niel die Natur atmosphärisch umzusetzen, man fühlt sich als Leser als Teil von ihr. «Mademoiselle studierte Rechte, wenn das mal keine Ironie ist: Rechte, genau die fehlen den Tieren, damit sie vor Mördern wie ihr geschützt sind. In Frankreich hatte es zwar in den letzten Jahren ein paar juristische Vorstöße für Haustiere gegeben, aber bei den Wildtieren waren wir davon noch weit entfernt, ehrlich jetzt. In der Beziehung waren die sozialen Netzwerke wenigstens zu was gut: Mangels Gesetzen und Gerichten, die diese Leute verurteilten, kümmerte sich die öffentliche Meinung um sie, dank solcher Gruppen wie STOP HUNTING FRANCE.» Randprotagonisten sind der Löwe Charles und Bär Cannellito. Hier blättert sich ein intelligenter, komplexer Ökothriller auf, der die Gefahren des Klimawandels und des Jagdtourismus ebenso wie des Fanatismus bei Naturschützern offenlegt. Colin Niels zieht die Leser auf keine Seite, schafft keine tumpen Sympathielinien, legt schonungslos seine Protagonisten offen: wechselnde Perspektiven und verschiedene Zeitebenen, Jäger und Gejagte. Die Jägerin wird zur Gejagten. Der Löwe tötet, weil er Hunger hat. 60.000 Dollar nur für den Abschuss eines Raubtiers! Für jedes weitere Tier wie Antilope, Zebra usw. gibt es gesonderte Prämien. Dazu kommen Reisekosten, der Präparator – denn ein Jäger hängt sich seine Trophäen an die Wand ... Colin Niel ist selbst Wildtierbiologe und Ökologe und macht hier verschiedene Rechnungen auf. Wie verwerflich ist eine Trophäenjagd aus Lust? Andererseits gibt es sogenannte Problemtiere, die ganze Herden von Farmern reißen. Der namibische Staat lässt sich die Problemlösung gut von Ausländern bezahlen. «Problemtiere» – warum sind sie denn ein Problem? Weil sie nicht genügend natürliches Futter finden usw. – den Problemkreislauf durchspielend, unter anderem die Auswirkungen des Klimawandels. In Europa nennt man Wölfe, Bären, Luchse usw. oft genug «Problemtiere» – aus gleichem Grund; und weil die Menschen schlicht Angst vor ihnen haben; völlig unberechtigt. Niemand ist gut oder böse in diesem Thriller – die Frage stellt sich immer: Wie weit will ich für meine Überzeugung gehen? Das Ende ist spektakulär – der gesamte Noir-Thriller superspannend: Realismus, komplexe Figuren und eine vielschichtige Handlung, ein Roman mit schwarzer Seele. Heranpirschen an diesen außergewöhnlichen Roman und den Autoren, der mich auch mit diesem Ökothriller überzeugte. Die Jagdsaison ist eröffnet! Unbedingt lesen! Colin Niel, geboren 1976 in Clamart, ist eine der großen Stimmen des französischen Roman noir. Nach einem Studium der Evolutionsbiologie und Ökologie arbeitete er zunächst als Agrar- und Forstingenieur im Bereich Biodiversität, u.a. mehrere Jahre in Französisch-Guayana. Mit einer vierteiligen guayanischen Serie, die vielfach ausgezeichnet wurde, gelang ihm der Durchbruch als Autor. 2017 erhielt er für Seules les bêtes u.a. den Prix Landerneau Polar und den Prix Polar en séries. Heute lebt Colin Niel als Schriftsteller in Marseille.

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