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Der Anfang: «An dem Abend, als wir Ellen am Straßenrand zurückließen, fuhren wir die 252 in nördlicher Richtung entlang, ungefähr dort, wo sie auf die 202 trifft und den Pennsylvania Turnpike überquert. Im Westen offene Felder, endlose Weiten aus goldenem Präriegras und Seidenpflanzen, durch die der letzte Streifen Sonne sein splitterndes Licht schickte. Im Osten King of Prussia – graue Industriegelände in der Abenddämmerung, Betonmischer, Kräne und ein Labyrinth aus Fern- und Schnellstraßen. Irgendwo da drüben lag, wie ein abgetrennter Körperteil, auch die Blue Route, die Interstate 476, 1967 begonnen, aber vierzehn Jahre später noch immer nicht fertig» Die Ferien beginnen so gar nicht nach dem Geschmack der Kinder: Fünf Geschwister streiten sich im Auto auf der Heimfahrt des letzten Schultags. Die zwölfjährige Ellen bringt die Mutter zur Weißglut, die dann am Straßenrand anhält und ihre Tochter auffordert, auszusteigen. Sie legt den Gang ein und tritt aufs Gaspedal. Es dunkelt bereits und Ellen steht ein stundenlanger Fußmarsch bevor. Die Entscheidung eines Augenblicks, die alles verändert. Den Geschwistern ist nicht wohl, aber sie können nicht viel tun. Marie, die Älteste telefoniert zu Hause, schickt einen Freund los, Ellen zu suchen. Doch er kann sie nicht finden. Die vierzehnjährige Erzählerin Libby geht mit flauem Gefühl zu ihrem Babysitterjob bei Mrs Bouchers; die Alleinerziehende wohnt in einem einsamen Haus auf dem Berg am Waldrand. Gegen Mitternacht steht dort plötzlich Ellen vor der Tür. Libby ruft ihre beste Freundin Sage an, damit sie ihr hilft, die verstörte und verletzte Schwester zu versorgen. Maries Freund Wilson holt Sage und Ellen mit dem Auto ab. «Mrs Bouchers Haus lag mehrere hundert Meter abseits der Straße, an einem steilen Abhang, und war vom Anfang der Zufahrt aus praktisch nicht zu sehen. Auf dem Weg nach unten sah ich die durch die Bäume zerschnittenen Lichter des Hauses. Ich nahm mir vor, Mrs Boucher zu erzählen, was mit Ellen passiert war. Vielleicht würde sie sich ja mit mir und den Jungs ins Auto setzen und den Berg hinunterfahren, um auf der Straße nach ihr Ausschau zu halten. Oder ich würde mit den Jungs im Haus bleiben, und sie könnte sich auf die Suche machen. Ich wusste, sie würde uns helfen.» Die Mutter darf nichts erfahren. Die Angst vor dem Ärger, weil Ellen versucht hat zu trampen, wiegt mehr auf. Die Geschwister halten zusammen. Wilson ist ein Freund von der punkigen Marie – ein Typ, der im Ort nicht sehr beliebt ist, dafür bekannt ist, immer nur Ärger zu machen, der Vorstrafen haben soll. Und ausgerechnet den hatte Marie losgeschickt! Libby ist sauer. Zumal Wilson sich nun zum Familienbeschützer aufspielt, das Haus bewacht und herausfinden will, wer der Typ ist, der versucht hat, Ellen im Auto flachzulegen. Sie konnte gerade noch während der Fahrt herausspringen. Der Mann fährt einen Camaro und sieht recht auffallend aus. Wilson recherchiert, will dem Typ eine Abreibung verpassen. Und es passiert einiges in diesem Sommer. Marie wird in das nicht weit entfernte Philadelphia zu ihrem Freund ziehen, sobald sie achtzehn geworden ist, und sie hat bereits einen Job in Aussicht. Die große Schwester, die die Familie zusammenhält, die schaut, dass Essen auf dem Tisch steht, dass die Kleinen ihre Hausaufgaben erledigen verlässt das Haus. Eine überforderte Mutter ist das Familienoberhaupt, oder besser gesagt eine, die sich nicht wirklich für ihre Kinder zu interessieren scheint. Der Vater war kürzlich verstorben; doch der wohnte bereits seit längerer Zeit in New York. Er war für die Kinder der Mittelpunkt, der, der sich für jeden Einzelnen interessierte, im Rahmen seiner Möglichkeiten. Einer, der Werte vermittelte. Aber er ist auch ein toter Vater, der von Libby idealisiert wird. Die Mutter arbeitet als Tresenkraft in einem Krankenhaus, hat einen heimlichen Lover, den sie den Kindern nicht vorstellt – nur «seine» Tochter mit zu ihm mitnimmt, die nichts über ihren Vater sagen darf. Eine Mutter, die es nicht sehr genau nimmt mit der Aufsichtspflicht und die Erziehung und Haushalt den ältesten Kindern überlässt. Eine Frau, die ihre Gefühle auf Distanz hält. Doch letztendlich hat sie ein sehr genaues Auge auf die Kinder und agiert sehr durchsetzungsfähig. Weder ist die Familie dysfunktional, instabil, noch gefährdet. Sie funktioniert durch Zusammenhalt. Es sind intelligente Kinder, die auf gute Schulen gehen, sich auf Stipendien bewerben, sich gegenseitig eine Stütze sind. Jedes der Kinder hat ein besonderes Interesse, ein besonderes Talent. Libby ist das Baummädchen; sie liebt die Natur und interessiert sich für Bäume. Die Familie ist nicht reich, kommt aber zurecht. Und die Kinder wären nicht so stabil und wissbegierig, wenn nicht eine wertbeständige Erziehung im Hintergrund läge. Wir blicken als Leser durch die Augen der vierzehnjährigen Libby. Wie würde die Geschichte aussehen, wenn sie eine der anderen Beteiligten erzählen würde? Doch dieser eine Tag bringt das Familien-Konstrukt ins Wanken. Loyalität wird hier von allen Mitwissern gefordert. Geheimnisse fliegen auf, Enttäuschung, Missverständnisse und Verrat spielen eine Rolle, Kartenhäuser werden eingerissen. Ein weiteres Thema ist die Geschichte zwischen Libby und Sage, eine Mädchenfreundschaft, die durch verschiedene Ereignisse ins Wanken gerät. Geheimnisse von Erwachsenen – wem darf man trauen, wem nicht. Im Prinzip geht es in diesem Roman um Außenseiter, Jugendliche wie Erwachsene. Sommerzeit Anfang der 80-er, Ferien: nachts über den Zaun der Badeanstalt klettern und schwimmen gehen, Feste, das erste Anbandeln von Jugendlichen; das alles mit kleinen und großen Dramen besetzt. Ein Coming-of-Age-Roman, für mich eher ein Jugendbuch, aber natürlich auch Allage. Eine bedrohliche Geschichte im Hintergrund, ja, aber das als Thriller zu bezeichnen - thrill, wäre mir zu wenig. Eine süffige Erzählung, spannend und unterhaltsam. Schaut man sich den Lebenslauf der Autorin an, so mag einiges in diesem Roman autobiografisch sein ... Una Mannion wuchs mit sieben Geschwistern in Philadelphia, Pennsylvania auf. Viele Sommer ihrer Kindheit verbrachte sie in Irland, dem Heimatland ihres Vaters. In den 1990er Jahren siedelte Una Mannion ins County Sligo über. Sie lehrt am Institute of Technology in Sligo und gibt gemeinsam mit Louise Kennedy und Eoin McNamee die Literaturzeitschrift The Cormorant heraus. Für ihre Gedichte und Kurzgeschichten wurde sie mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Licht zwischen den Bäumen ist ihr erster Roman.