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Entbunden von der Ukraine „Wenn man diesen Ort in Flaschen abfüllen könnte, hätte man die Hoffnungslosigkeit konserviert.“ (S.118) Dmitrij Kapitelman jongliert mit der deutschen Sprache und erfindet sie neu, wenn er Hunde als Kleffkrümel betitelt oder er „fragfürchtet“ sowie über sein zweites „Staatsfamilienleben“ sinniert und dann irgendwann „gegenwartsgierig“ ist. Oder auch wenn er sich ständig entdanken muss in Kiew – nichts anderes als bestechen bloß charmanter! Zugleich lässt er uns auch über unsere deutsche Sprache nachdenken, wenn er sich über die Konstellation von „sich auf jemanden verlassen“ wundert, was da zum Teufel das verlassen zu suchen hat. Auf jeden Fall ein sprachsensibler Roman. Nicht nur Deutsch wird hier seziert, ich lerne auch was ein Golownjak ist im Russischen. Überhaupt setzt sich der Roman mit dem Nutzen der Sprache auseinander.Er, der als Kind der Sowjetunion die Ukraine verlies als dort noch Russisch gesprochen wurde, kommt heute wenig klar, wenn es ist heute verpönt. „Hier in der heimischen Fremde wirkt alles doppelt bedrohlich“. (S. 99) ‚Eine Formalie in Kiew‘ nimmt uns im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Protagonisten mit auf eine Reise nach Kiew. Er will nach 25 Jahren BRD doch nun deutscher Staatsbürger werden und es braucht eine erneute beglaubigte Geburtsurkunde (Apostille) aus Kiew. Es begegnet ihm allerlei Wahnsinn und ist doch oft auch positiv überrascht über sein Herkunftsland und seine Erinnerungen. Er überdenkt die Beziehung zu seinen Eltern, analysiert die Entwicklung von Damals-Mama zur Heute-Mutter sowie den veränderten Vater. „Ihre Fähigkeit, koordiniert den Koller zu kriegen, ist einzigartig.“ (S. 26) Herrlich lakonisch, zum Teil bitterböse in der Abrechnung und zugleich liebevoll und voller Witz. Mich hat dieser schmale Roman (176 Seiten) überzeugt und ich fand ihn großartig. Ach und ich stimme dem Klappentext zu: Keiner kann schriftlich so schön sächseln wie Kapitelman! „…aus Staub lässt sich kein Schwert schmieden“ (S. 144) Fazit: Was ist eine Nationalität wert, wenn man eine innere Heimat hat?