Lesen macht glücklich
Immer wenn ein neuer Stephen King kommt, bin ich sofort aufgeregt, wie bei keinem Autor, keiner Autorin sonst, und frage mich jedes Mal, was für eine Geschichte er diesmal unter die Leute bringen wird. Dabei versuche ich immer wieder, so wenig wie möglich in Erfahrung zu bringen, damit das Leseerlebnis maximal neu für mich ist. Doch in den letzten Jahren, bevor ich die chronologische Lesereise in das Universum der Geschichten von diesem Autor gestartet habe, bin ich mit seinem Veröffentlichungsrhythmus nicht mehr hinterhergekommen und habe dadurch einige gute Werke verpasst, die ich aber jederzeit nachholen kann, denn in meinem Regal stehen sie trotz allem. Dieses Jahr wollte ich es nun aber anders machen und habe mir fest vorgenommen, beide Neuerscheinungen direkt zu lesen und habe es sogar seit Ewigkeiten tatsächlich geschafft. Nachdem „Später“ im Frühjahr eindeutig in die Richtung Suspense und Horror ging, fehlten diese Komponenten bis auf eine kleine Anspielung in dem neuen Buch „Billy Summers“ vollends. Vielmehr fehlten auch viele Spannungselemente, die sonst ein Buch von Stephen King ausmachten. Eigentlich liefert er mit „Billy Summers“ eines seiner ruhigsten und unaufgeregtesten Romane seiner Karriere. Doch ob es nur langweilig ist oder doch seinen Reiz hat, möchte ich in den folgenden Worten etwas näher ausführen. Ein Berufskiller mit Kodex Gab es da nicht schonmal etwas in diese Richtung? Wie hieß die Serie gleich? Dexter, richtig! Wobei man beides nicht miteinander vergleichen sollte, kommt diese Annäherung unweigerlich zustande, denn auch der freundliche Killer aus der Nachbarschaft hatte einen Kodex, nur die bösen um die Ecke zu bringen, um seinem Drang zu morden eine moralische Berechtigung zu geben. Auch in Billy Summers, dem wer weiß wievielten Roman von Stephen King, dreht sich die Geschichte um einen solchen Killer. Da Stephen King sehr fernseh- und filmaffin ist, würde ich mal behaupten, dass ein paar Anleihen von Dexter auch in die Figur Billy Summers und diesen Roman geflossen sind. Doch aus diesen Gemeinsamkeiten, die insgesamt keine große Schnittmenge besitzen, zimmert der Autor etwas ganz eigenes und macht daraus seinen ruhigsten Roman, der mir bisher unter die Augen gekommen ist. Erstmal mit den Nachbarn bekannt werden „Billy Summers“ beginnt sehr leise und ruhig und führt den titelgebenden Charakter Billy Summers ein, der ein Auftragskiller ist. Dieser Job soll sein letzter sein, auch wenn sein Bauchgefühl ihm sagt, es sein zu lassen. Doch die Aussicht, in seiner Tarnidentität endlich einmal als Schriftsteller seine Fähigkeiten zu testen, einen Text zu verfassen und dafür noch jede Menge Geld zu kassieren, ist zu verlockend. Also nimmt er diesen Job entgegen seiner inneren Widerstände an und muss viel Geduld aufbringen, bis das eigentliche Ziel, ein Häftling, der zu einer Anhörung gebracht wird, zu eliminieren. Er hat also unendlich viel Zeit und diese nutzt Billy, um seine Vergangenheit zu Papier zu bringen und um sich mit den Nachbarn in der Wohngegend bekannt zu machen, in die er von seinen Auftraggebern verfrachtet wurde. Doch das ungute Gefühl, dass an diesem Auftrag etwas nicht stimmt, ist immer noch da. Und als Billy von seinem Auftraggeber, entgegen sonstiger Gewohnheiten, sogar noch eine Fluchtmöglichkeit vorgeschlagen wird, schrillen bei Billy alle Alarmglocken und er schmiedet einen eigenen Fluchtplan. Als das Ziel nach einer langen Wartezeit endlich eliminiert ist, bewahrheitet sich, was Billy die ganze Zeit ahnte. Er wird verraten und muss in seinem selbst gewählten Versteck untertauchen. Während der dort an seiner eigenen Geschichte weiterschreibt, wächst in ihm der Gedanke heran, die eigentlichen Drahtzieher aufzuspüren und ihnen zu zeigen, mit wem sie sich wirklich angelegt haben. Dabei bekommt er durch Zufall Hilfe von jemanden, den er erst retten muss und dann langsam in seine echte Identität blicken lässt, wie niemanden zuvor. Keine großartige Spannungskurve und das ist ok Die erste Hälfte des Romans vergeht ohne nennenswerten Ereignisse. Ich habe schon einige Stimmen gehört, die diesen Anfang als dröge, langweilig und als dahinplätschernd empfanden. Ich sage, es kommt immer auf die Erwartungshaltung an. Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass diesem Anfang so viele kleine Details stecken, die zwar zuerst nicht großartig nach Stephen King aussehen, dafür aber zeigen, dass er ein (immer noch unterschätzter) großer Schriftsteller ist, der eben nicht nur gruseliges und blutiges Zeug schreibt, sondern Romane, die auch wirklich diese Bezeichnung verdienen. Gerade in Hinsicht auf die Tiefe der Charakterisierung seiner Figuren macht man King so schnell nichts vor. Von der Hauptfigur Billy bis hin zu den kleinsten Nebenfiguren bekommt man von fast allen ein klares Bild vor Augen, wenn man mit diesem Buch beginnt. Das wirkt sicher in der ersten Hälfte alles gemächlich und nicht unbedingt spannend, macht aber trotzdem Spaß, das zu lesen. Insbesondere in den Momenten, in denen Billy mit seinen Identitäten jongliert und sich immer mehr daran zu verheben scheint. Neben der Charakterisierung ist aber noch ein anderer Punkt richtig gut umgesetzt und der zeigt, wie gut dieses geschrieben Buch ist. Die Tarnidentität Billys als Autor und das Buch, das er über sich selbst schreibt, ist genau dieser Punkt, den ich als faszinierend einfach und doch gut gelöst ist, da Stephen King so das Problem umschifft, einfach irgendwelche Rückblenden einzufügen, die Billys Vergangenheit näher beleuchten. Nein, er mach es geschickt darüber, dass Billy Tarnung als Schriftsteller dazu genutzt wird, seine „Memoiren“ zu schreiben. Und innerhalb von diesem Kontext benutzt King noch etwas, was man in jedem Schreibseminar als Paradebeispiel vorlegen sollte, wie man seine Texte nicht beziehungsweise wie man sie schreiben sollte. Billy hat sich während seiner Tätigkeit als Auftragskiller eine Art „dummes Selbst“ (Anmerkung: Ich habe das Original gelesen und da war es als „dumb selve“ bezeichnet und ich würde es genauso übersetzen) zugelegt, womit er seine jeweiligen Auftraggeber über seinen wahren Geisteszustand im Unklaren zu lassen. Und genau so schreibt er auch zu Beginn sein Buch, als eine Art Experiment und in seiner Rolle von diesem „dummen Selbst“, weil er vermutet, dass sein Rechner von seinen Auftraggebern beobachtet wird. Und kaum, als Billy verraten und allein in seiner Fluchtwohnung sitzt und an dem Buch über ihn selbst weiterschreibt, verändert sich sein Stil und wirkt gar nicht mehr so plumb und hilflos, sondern gestochen scharf und mit einem Auge für das Detail seiner Umgebung und die Menschen, die ihn umgeben. An genau solchen Punkten merkt man, dass Stephen King nicht nur schnöde Buch um Buch herunter schreibt, sondern, dass er auch Ahnung hat von dem, was er da tut. Ich persönlich finde solche Einblicke immer wieder spannend und zeigen auf, dass es sich immer wieder lohnt auch hinter die Fassade eines Plots zu schauen und die Technik, mit der ein Buch geschrieben ist, zu analysieren. Gerade bei solchen Autoren wie King lohnt sich das sehr. Eine Frage der Erwartungshaltung Und ja, ich gebe zu, dieses Buch lässt die Fans zwiegespalten zurück. Auf der einen Seite ist diese erste, sehr spannungsarme erste Hälfte, in der nicht viel passiert, außer, dass man die verschiedenen Identitäten von Billy kennenlernt und wie versucht in den verschiedenen Welten, in denen er jeweils unterwegs ist, nicht aufzufallen beziehungsweise, dass sich seine diversen Verhaltensmuster nicht miteinander vermischen. Und das finde ich an sich schon sehr spannend umgesetzt und auch, wie kaum merklich die Spannung immer mehr hochgesetzt wird, nur um dann in der zweiten Hälfte ein völlig neues Thema zu etablieren, dass sich dann mit der Rache an den Auftraggebern vermischt und zu einem großen Ganzen verschmilzt. Dabei wird man immer mehr mit der Figur des Billy Summers vertraut und lernt ihn vorsichtig zu schätzen. Doch die Frage, die über allem schwebt: Ist er wirklich einer, der Gutes tut oder ist es doch ein sehr abwegiger Gedanke, wenn man Menschen umbringt? Ähnlich wie bei der Serie Dexter, um den Kreis zum Anfang zu schließen, wird genau diese Frage in diesem Buch am Ende behandelt. Ist Billy letztendlich auch nicht viel besser als seine Auftraggeber und die Leute, die er alle umbringt? Eben weil er selbst für Geld tötet, auch wenn er sich einen moralischen Kontext gesteckt hat? Genau darum kreist der zweite Abschnitt und die Gedanken, die Billy heimsuchen, als er versucht, sein Buch zu einem Ende zu bringen. Und die Antwort bleibt uns das Buch schuldig, über die wir letztendlich selber nachgrübeln müssen. So bleibt ein starkes Buch von Stephen King zurück, was durch die (fast – siehe P.S.) völlige Abwesenheit von Horror- und Thrillerelementen überrascht, aber durch die Art, wie King das Buch geschrieben hat, wieder wettgemacht wird. Aber es ist für mich persönlich auch nicht eines seiner stärksten, landet jedoch im vorderen Mittelfeld. Überraschende Referenz P.S.: Wie in jedem Buch schreibt auch King hier eine Referenz hinein, die zu überraschen weiß und die ein klein wenig den Kontext zum Horror herstellt, da wir es doch besser wissen als die Figuren im Buch. Nicht wahr, wenn der Name Overlook Hotel zur Sprache kommt? Anfangs war ich etwas überrascht, dass Shining als Referenz in dem Buch auftaucht, aber wenn man, wie die Figuren, in dieser Region Unterschlupf findet, so ist es doch die logische Konsequenz, auch auf dieses Hotel eine Anspielung einzubringen, bei der sich sofort wieder die Nackenhaare aufstellen.