Dreamworx
„Nichts ist so wechselhaft wie Identität.“ (Stefan Hölscher) 1942. Die norwegische Krankenschwester Gerd Hörvold hat sich mit dem deutschen Soldaten Anton Halbleben eingelassen und ist schwanger geworden. Deshalb gilt sie in ihrer Heimat als Nazi-Hure als persona non grata. Sie reist von Norwegen ins österreichische Hohenems, um bei Antons Familie unterzukommen, bis dieser aus dem Krieg zurückkehrt. Aber seine Familie will nichts von ihr wissen, auch Anton lässt sie fallen und bricht jeden Kontakt ab. Sohn Heinz wird Ende 1942 geboren und kommt erst in einem Lebensbornheim unter und danach in eine Pflegefamilie, wo ihn seine Mutter 1946 mit Hilfe des Roten Kreuzes wiederfindet und zu sich nimmt. Doch auch bei seiner Mutter, die erneut geheiratet hat, wird Heinz immer ein Außenseiter sein, denn sein Stiefvater lehnt ihn ab und auch die eigene Mutter hat nicht viel Liebe für ihn übrig. So irrt Heinz aufgrund der dauerhaften Ablehnung seines engsten Umfeldes viele Jahre durch sein Leben auf der Suche nach seiner wahren Identität, wird Schauspieler und erst im Alter von 60 Jahren unternimmt er einen neuen Versuch, seinen Wurzeln näher zu kommen… Alois Hotschnig hat mit „Der Silberfuchs meiner Mutter“ einen sehr komplexen Roman vorgelegt, der mit einer berührenden Lebensgeschichte überzeugen kann, die sich aus Fiktion und Wahrheit zusammensetzt. Der Erzählstil ist emotional, wenn nicht gerade einfach zu lesen, spiegelt aber sehr gut die Zerrissenheit des Protagonisten Heinz wieder, der sein gesamtes Leben auf der Suche ist und dessen Erinnerungen mit Träumereien vermischt für den Leser eine Herausforderung darstellen. Oftmals wird man das Gefühl nicht los, der Autor habe seine eigenen Erfahrungen zu Papier gebracht. In Ich-Form erhält der Leser Einblick in die Erinnerungen des inzwischen gealterten Heinz, der innerhalb der Ehe seiner Mutter so einiges zu ertragen hatte: einen Stiefvater, der ihn zwar verachtet, aber ihn als Hilfskraft gern für sich arbeiten ließ. Die Mutter, die allen Fragen konstant aus dem Weg ging und ihm sogar Schuldgefühle verursachte, da sie immer epileptische Anfälle bekam, wenn er eine Aussprache wollte. Der leibliche Vater, der ihn als 16-jährigen verleugnet und ihm eine erlogene Geschichte vorgaukelt, um dann Jahrzehnte später endlich doch einzugestehen, dass Heinz sein Sohn ist. Heinz verarbeitet seine Erfahrungen als Schauspieler auf der Bühne, seine Seele jedoch findet dadurch kaum Linderung, zu schwer nagen die Ablehnung und die unbeantworteten Fragen an ihm. So wie Heinz wird es vielen in jener Zeit geborenen Kindern gegangen sein, die bei ihren Fragen immer wieder auf eine Mauer des Schweigens gestoßen sind und nur unter schwierigsten Bedingungen ihrem Ziel vielleicht ein Stück näher kamen. Die Charaktere werden erst nach und nach für den Leser zugänglich, der die Geschichte zu Beginn mit Distanz liest. Doch je mehr er in die Erinnerungen von Heinz eintaucht, umso mehr kann er die Gefühlslage von Heinz nachvollziehen. Heinz ist ein zutiefst zerrissener Mensch, der seine Erfahrungen in seinen Rollen auslebt, um irgendwie damit umgehen zu können. Er fühlt sich seiner Identität beraubt, belogen und abgelehnt, ist jedoch mutig und stark genug, immer wieder Anlauf zu nehmen und den Dingen auf den Grund zu gehen. Seine Mutter ist eine verletzte Frau, die sich vor ihrem Sohn die Blöße nicht geben will, eine uneheliche Mutter zu sein und die Ausgrenzungen, deren sie ausgesetzt war, preiszugeben. Anton verleugnet fast sein ganzes Leben die Beziehung zu Heinz‘ Mutter und seine Vaterschaft, doch am Ende seines Lebens kommt ihm die Erkenntnis, dass er der Welt mit Heinz doch etwas hinterlässt. „Der Silberfuchs meiner Mutter“ ist eine Suche nach der eigenen Identität und eine gleichzeitig Tragödie, die nach dem Krieg viele ereilt hat. Die Sprachlosigkeit der damaligen Generation, die Vorbehalte sowie die Härte gegenüber seinen eigenen Kindern sind schwer zu ertragen, doch sind sie ein Zeitzeugnis für eine vergangene Zeit. Sehr zu empfehlen!