seeker7
Immer stärker hängt die Beurteilung von Klima-Büchern auch davon ab, welche und wie viele Publikationen man schon gelesen hat. Von mal zu mal wird es immer schwerer zu entscheiden, ob das Gefühl der Redundanz aus dem Buch selber stammt oder das eigene Vorwissen widerspiegelt.Auf das Buch von LYNAS trafen bei mir beiden Faktoren zu. Der Grundgedanke und Rote Faden des Buches ist schnell erklärt: Der Autor führt die Leser/innen in übersichtlichen Schritten von der Gegenwart (1 Grad mehr) bis in die Apokalypse (6 Grad und mehr). Dabei geht er in einer Gründlichkeit vor, die eine schon ziemlich einzigartige Informationstiefe schafft. LYAN wertet eine Unzahl von Studien aus und bezieht alle denkbaren Schauplätze des Klimawandels ein: die Eisschmelze an den Polen (Erhöhung des Meeresspiegels und Überflutung von Küsten), die Erwärmung der Meerestemperatur (Zunahme schwerer Stürme), die Veränderung der Meeresströmungen, das Artensterben in und außerhalb der Meere (u.a. das Korallensterben), die Veränderung der Klimazonen (und deren Auswirkung auf die Landwirtschaft), die gesundheitlichen Folgen der häufiger werdenden Hitzeperioden, die bevorstehenden Klima-Migrationswellen, usw, usw… Bei der Darstellung führt diese umfassende Darstellungsform zu einer gewünschten und einer eher lästigen Konsequenz: Wirklich erhellend ist, dass einem am laufenden Meter das Ineinandergreifen und das gegenseitige Aufschaukeln der verschiedenen Entwicklungen vor Augen geführt wird. Als echt schwierig erweist sich im Verlauf des Buches, dass alle diese Faktoren und Wechselwirkungen für jede neue Gradzahl neu durchgespielt werden. Irgendwann steigert sich dadurch nicht nur die Temperatur, sondern auch der Wiederholungseffekt und dieser mündet schließlich irgendwann in einem Informations-Overkill. Ein wenig gesteigert wird dieses Gefühl von „Zuviel des Schlechten“ noch dadurch, dass der Autor auch immer wieder Bezug nimmt zu den Aussagen seiner früheren Klimabücher. Das ist zwar auch erhellend (weil alles noch schlimmer gekommen ist), macht aber die Faktenflut noch ein bissen unübersichtlicher. Damit kein falscher Eindruck aufkommt: Das Buch ist eine unglaublich faktenreiche und eindrückliche Schilderung der Szenarien, die auf die Menschheit der nächsten 100 Jahre zukommen werden – je nachdem, an welchem Punkt sie den Klimawandel schließlich stoppen. Absolut beeindruckend sind auch die Vergleiche mit früheren, natürlichen erdgeschichtlichen Klimaphänomenen: Sie haben sich allesamt über sehr viel längere Zeiträume erstreckt! Wer auf dieser Faktenlage noch behauptet, dass wir uns in einem „ganz normalen“ geologischen Prozess befänden, auf den wir Menschen kaum einen Einfluss hätten, ist entweder strohdumm oder hat immer noch Aktien von Ölkonzernen. So bleibt als Quintessenz: Wer auf der Suche nach einem soliden, extrem differenzierten und gut aufgearbeiteten Informations- und Faktenpool ist, der/die sollte bei „6 Grad“ beherzt zugreifen. Insbesondere, wenn es auch um die wirklich langfristigen Folgen eines extremen Klimawandels gehen soll. Für Menschen, deren Interesse nicht so extrem in die Tiefe geht, gibt es jede Menge leichter (und schneller) lesbare Quellen. (3,5 Sterne)