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Flüchtige Umarmungen, Begehren, Identität und Suche Das Buch von Daniel Mendelsohn, dass mich völlig von den Socken gerissen hat war „Eine Odyssee“. Ein Familienmemoir mit homerschen Interpretationen und Hintergrund und diese unnachahmlichen wunderbare Erzählsprache. Eine Geschichte, eine sehr persönliche zum Wiederschwelgen. Großartig erzählt, stilistisch interessant und herzergreifend. Natürlich habe ich mit „Flüchtige Umarmung“ auf eine ebenso starke literarische Reise gehofft. Leider sind bei dieser Lesereise des Autors und mein Ziel so unterschiedlich, wie eine Antarktisexepedition zu einem Wanderurlaub in den Schluchten des Verdon in der Provence im Sommer. Daniel Mendelsohn, 1960 geboren ist schwul. Seine Identitätssuche dauert lange. Er ist ein Mensch, der alles hinterfragt und zu ergründen versucht. Glücklicherweise ist sein erzählerisches Können so ausgeprägt, dass das Lesen eine reine Freude ist. Für mich leider getrübt durch mein völliges Desinteresse an seiner Geschichte in diesem Buch. Es ist, auch wenn erst nach zwei anderen Werken auf deutsch erschienen, sein schriftstellerisches Debüt, erschienen 1999. Sprachlich wieder erhebend, inhaltlich ist es eine Nabelschau. Und das ist mein einziger und womöglich nicht ganz gerechtfertigter Kritikpunkt. Es langweilt mich, trotz der bei einem Altphilologen erwartbaren und vorhandenen interessanten Ausflüge in die Erzählungen der alten Griechen. „Ich musterte J., der alles andere als mein üblicher Typ istund dennoch auf einmal eine machtvolle Faszination ausübt – eine Anziehung, die wie ich merke, gerade auf seiner Gewöhnlichkeit, seiner Nicht-Emphase gründet. Er ist mittelgroß und hübsch, ohne aber so gepflegt zu sein wie meine jüngeren Freunde. Seine Zähne sind gelb vom Tabak, sexy, finde ich (warum sexy? weil es nahelegt, dass ihm sein Aussehen gleich ist, dass er weniger um des Effekts als zum Vergnügen raucht), und das verstärkt nur, zusammen mit den winzigen Anzeichen der nahenden mittleren Jahre – Krähenfüße, ein Grauschimmer -, eine unterschwellige Jungenhaftigkeit, so wie das unerwartete <<flatterig>> die Aufmerksamkeit darauf lenkt, wie gefestigt und nüchtern er tatsächlich ist, und das ist das Sexyste überhaupt.“ Mit Catull begibt er sich auch zu den alten römischen Literaten, stellt Vergleiche und Bezüge her, erforscht das Begehren, die Lobgesänge der Schönheit. Erzählt wie er unerwarterterweise doch zu einer Vaterschaft kam und wie diese ihn verändert. Zieht Vergleiche zwischen hetero- und homosexuellen Männern und gedenkt der Toten, ehemaligen Liebhabern und Objekten seines Sehnens die es nicht geschafft haben auf dieser Welt weiterzuexistieren, erinnert sich an aufblitzende Details dieser einst jungen Menschen. Mendelsohn bemerkt den Rassismus im New York der achtziger. Den Klassismus beim „cruisen“ die Unterschiede in der Soziologie der einzelnen Stadtteile. All jene Kleinigkeiten die Atmosphäre schaffen sind in „Flüchtige Umarmung“ zu finden. Dennoch konnte mich das Buch nicht einfangen, zu groß mein Desinteresse an dieser umfassenden Selbstfindung und den Sorgen und Zielen des Autors. Womöglich bleibt mir der Zugang wegen meiner sexuellen Orientierung verwehrt. Das ist schade, denn ich wünsche diesem Buch viele LeserInnen, die mit Genuß ins New York der Achtziger und der Identitätssuche des jungen Autors abtauchen können.