horatio_buecher
Die „Queen of Horror“ mit einer Spukgeschichte der leisen Töne. Mit großer Vorfreude hatte ich den Roman „Spuk in Hill House“ (orig. „The Haunting of Hill House“) der US-amerikanischen Schriftstellerin Shirley Jackson (*1916, +1965) erwartet. Die jung an einem Herzleiden verstorbene Autorin, Vielleserin und Verfasserin zahlreicher Kurzgeschichten und Romane, gilt schließlich als die „Queen of Horror“. Generationen von Autoren/-innen, ganz erheblich auch Stephen King, wurden von ihren Werken beeinflusst. Ihr 1959 erschienener Roman „Spuk in Hill House“ wird gar als Meisterwerk und Höhepunkt der phantastischen Literatur bezeichnet. Der Roman wurde mehrfach in wechselnder Qualität verfilmt und diente als Vorlage einer in jüngster Zeit beim Streaminganbieter Netflix erschienenen Serie. Die mir vorliegende deutsche Hardcover Ausgabe ist 2019 beim Leipziger Festa Verlag in der Übersetzung von Eva Brunner erschienen. Als ich den Band dann in den Händen hielt, war ich allerdings zunächst enttäuscht. Die Gestaltung des Buchs konnte mich nicht restlos überzeugen. Der Einband ist recht schlicht ausgefallen. Zudem wurde für meinen Geschmack auch etwas zu grobes, voluminöses Papier verwendet. Das wirkt nicht besonders hochwertig und das Buch fällt dadurch auch wesentlich dicker aus, als es vom Inhalt her eigentlich sein sollte. Dieses Ergebnis wird durch die Verwendung einer relativ großen Schrift noch weiter verstärkt. Der Schutzumschlag ist dagegen hochwertiger gestaltet und wurde mit einer geschmackvollen Collage versehen. Das Bild eines unheimlichen Hauses im viktorianischen Stil wird hier geschickt mit einem weiblichen Gesicht verbunden. Das Ergebnis ist sehr schön anzusehen und hat noch dazu einem unmittelbar Bezug zum Inhalt des Romans. Großartig! Leider wird diese sehr gelungene Umschlaggestaltung durch einen mitten in das Motiv gedruckten profanen, weiß-roten Sticker mit der Aufschrift: „NETFLIX VORLAGE ZUR TV-SERIE“, wieder vollständig zunichte gemacht. Bei allem Verständnis für die Erfordernisse des Marketings, dieser Anblick ist für mich schwer erträglich! Ein abziehbarer Aufkleber wäre hier ganz sicher die bessere Wahl gewesen. Insgesamt also ein sehr gemischter optischer und haptischer Eindruck. Abgesehen von der nicht ganz stimmigen Gestaltung der mir vorliegenden Hardcover-Ausgabe, ist Shirley Jacksons „Spuk in Hill House“ jedoch ein wahrlich meisterhaftes Werk der Horrorliteratur. Wer bei diesem Begriff allerdings eine Horrorgeschichte mit furchteinflößenden Monstern, spritzendem Blut, erwachenden Dämonen oder Mengen von Toten erwartet, könnte falscher nicht liegen. Das Genre der Horrorliteratur umfasst ausdrücklich auch die unheimlichen Geister- und Schauergeschichten, in denen als Orte des Bösen, klassischerweise ein Haus oder ein Schloss, im Mittelpunkt der Handlung stehen können. Obwohl derartige Schauerromane eher der Zeit des ausgehenden 18. bis 19. Jahrhunderts zuzuordnen sind, steht auch Shirley Jacksons Roman aus dem Jahr 1959 diesem Genre sehr nahe. Stephen King führt „Spuk in Hill House“ in seinem „Danse Macabre“ sogar ausdrücklich als ein typisches Beispiel für diese Form des Horrors an. Der Roman wird hauptsächlich aus der Perspektive der jungen Frau Eleonor Vance erzählt, die über Jahre hinweg ihre dominante und kaltherzige Mutter pflegen musste. Jetzt nach deren Tod lebt sie in beengten Verhältnissen und perspektivlos bei der Familie ihrer verhassten Schwester. Da bietet sich ihr plötzlich die Gelegenheit in Form eines Angebots, des Wissenschaftlers und Psychologen Dr. John Montague, an einem Projekt zur Erforschung übernatürlicher Phänomene im „Hill House“, in der Nähe einer kleinen Ortschaft Hillsdale teilzunehmen. Ohne lange nachzudenken greift die junge, gequälte und vom Leben enttäuschte Frau zu. Alle Brücken hinter sich abreißend entwendet sie das gemeinschaftliche Familienauto und macht sich, ohne eine Anschrift zu hinterlassen, auf den Weg in die Einöde des abgelegenen Bergorts. Während der Anfahrt verfällt Eleonor wiederholt in leicht entrückte Zustände und es regt sich der Verdacht, dass es um ihre geistige Stabilität nicht zum Besten bestellt sein könnte. Trotz der eigentlich angenehmen Reiseatmosphäre und der idyllischen Landschaft, lösen einige ihrer Reaktionen und Assoziationen bei den Lesenden ungute Vorahnungen aus. Auch erfahren wir, dass es in ihrer Jugend bereits kleinere Hinweise auf möglicherweise in ihr schlummernde übernatürliche Kräfte gegeben haben soll. Die Autorin geht mit diesen Andeutungen äußerst geschickt und sparsam um, so dass bei den Lesenden nur ganz langsam ein bedrohliches Gefühl erwächst. Das „Hill House“ liegt einsam in den Bergen, einige Meilen entfernt von dem kleinen Örtchen Hillsdale. Der trostlose Ort liegt wirtschaftlich darnieder. Immer mehr Einwohner ziehen fort. Das achtzig Jahre alte Hill House wird von der Bevölkerung vollständig gemieden. Lediglich das Hausmeisterehepaar Dudley kümmert sich zeitweise um das verlassene Anwesen, legt aber größten Wert darauf, keinesfalls über Nacht dort zu verweilen. Das im viktorianischen Stil erbaute, unheimlich wirkende Haus blickt auf eine bewegte, an tragischen Ereignissen reiche Geschichte zurück und ist bereits seit längerer Zeit nicht mehr bewohnt. „Das Haus, das sich selbst geformt zu haben schien, dessen Teile unter den Händen der Erbauer nach einem eigenmächtigen Muster mit eigenwilligen Linien und Winkeln zusammenfanden, richtete sein breites Haupt ohne Rücksicht auf alles Menschliche zum Himmel empor.“ Eleonor trifft hier neben Dr. Montague quasi auf ihr Gegenstück, die junge, lebenslustige und möglicherweise telepathisch begabte Theodora und den rationalen, privilegierten zukünftigen Erben des Hauses Luke Sanderson. Gegen Ende der Woche stoßen noch Dr. Montagues als Medium begabte Ehefrau und der hartgesottene, autoritäre Schuldirektor Arthur Parker zu der Gruppe hinzu. Der relativ kurze Roman ist, ähnlich einer Novelle, vollständig auf die Ereignisse dieser einen Woche im Hill House fokussiert. Neben der zum Verständnis unabdingbaren wechselvollen Vorgeschichte des Hauses und der traumatischen, bedrückenden Vergangenheit Eleonors, erfahren wir lediglich das Allernötigste über den Hintergrund der Charaktere. Gerade das macht aber auch den besonderen Reiz des Romans aus. Er ist auf das Wesentliche reduziert. Gespräche, Blicke, Träume, Begegnungen und Landschaften, jedes Detail scheint eine besondere Bedeutung zu haben und mit den Vorgängen im Hill House zusammenzuhängen. Die Schilderung des Alltags der Gemeinschaft wird zudem immer wieder durch rätselhafte, mitunter traumhaft anmutende Szenen unterbrochen, bei denen es letztendlich nicht ganz klar wird, ob es sich hier um reale Vorkommnisse oder die Vorstellungen der Protagonisten handelt. „Die Bedrohung durch das Übersinnliche liegt darin, dass es den modernen Verstand da angreift, wo er am schwächsten ist, da, wo wir unseren Schutzpanzer des Aberglaubens abgelegt haben, ohne dafür einen Ersatz zu haben.“ In unaufgeregter und klarer Sprache, fast unmerklich, baut Shirley Jackson auf diese Art eine sich langsam immer weiter steigernde subtile Atmosphäre des Unheimlichen und der Bedrohung auf. Überhaupt ist der Roman für Freund:innen der leisen Töne gedacht. Der Horror wird hier durch Bilder und Assoziationen geschaffen und scheint eher dem Inneren der Protagonisten zu entspringen. Plumpe Effekthascherei ist Shirley Jackson fremd. Die häufig des Nachts auftretenden Spukerscheinungen bleiben schwer fassbar. Meist werden sie nicht von allen Personen gleichzeitig wahrgenommen, so dass auch diesbezüglich im Unklaren bleibt, ob sie sich tatsächlich so zugetragen haben. Anstelle von Geistern und Ungeheuern ist viel mehr die psychischen Verfassung der Beteiligten für den Roman von wesentlicher Bedeutung. Alles scheint zunehmend auf die instabile, starken Stimmungsschwankungen unterworfene, Eleonor zuzulaufen. Shirley Jackson hat einen wunderbaren, psychologischen Spukroman der leisen Töne geschaffen, der bis zu seinem fulminanten Ende mysteriös, vage und zweideutig bleibt. Das klassische Sujet des unheimlichen Spukhauses, wurde von ihr meisterlich weiterentwickelt, indem sie die Innenwelt der Beteiligten auf raffinierte Weise zum wesentlichen Bestandteil des Horrors erhob. Der schaurige Roman „The Haunting of Hill House“ ist ein Meilenstein der Horrorliteratur.