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sabinescholl

Posted on 3.12.2021

Sobald ich mich länger in einer mir unbekannten Stadt aufhalte, brauche ich Informationen, um den Ort besser zu verstehen. Ich laufe herum, beobachte und ziehe Bücher heran, um mein Wissen zu erweitern. In Meran nahm ich mir, zusätzlich zu Stadtplänen und Wanderkarten, zwei Romane vor. Einen gelungenen und einen schlechten. Den misslungenen habe ich dennoch von Anfang bis Ende gelesen, weil er Fakten und Erklärungen zur Südtiroler Geschichte enthält. Bei dem Gezerre zwischen Österreich und Italien ging es u.a. um Zugehörigkeit, Zweisprachigkeit, die Fraternisierung mal mit dem faschistischen, mal mit dem Naziregime, um Konflikte zwischen „Dableibern“ und „Optionisten“ (also denen, die für eine Heimkehr ins Deutsche Reich stimmten, wobei ihnen dort gleichwertiges Hab und Gut versprochen wurde), Separatismus bis hin zu Sprengstoffattentaten. Im Roman „Der Sturm“ zeichnet die bekannte italienische Fernsehjournalistin Lilli Gruber mit Süditroler Vorfahren vor allem die Zeit vor, während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nach. Die Stärken der Autorin liegen dabei in der sorgfältigen Recherche und in sachbuchartigem Referieren. Sobald sie Treffen mit Zeitzeuginnen schildert und Zusammenhänge erklärt, liest sich das spannend und schlüssig. Wo sie aber versucht, in die Haut einer mit einem Nazi verlobten jungen Südtirolerin zu schlüpfen, deren Träume, Gedanken und Gefühle zu beschreiben, wird es banal. Glücklicherweise gibt es im Anhang ein paar Fotos der Protagonistin, so dass man sich zusätzlich selbst ein Bild dieser Zeit machen kann. Trotzdem findet Hubers Buch sicherlich genug Leserinnen, weil man die Journalistin aus dem Fernsehen kennt.

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