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mabuerele

Posted on 22.11.2021

„...Ich komme jetzt zum letzten Willen des verstorbenen Herrn Stephan Johannes Danzer. Zur Haupterbin bestimmt der Verblichene seine Nichte Sophie von Werdenfels. Ich lese den genauen Wortlaut der Verfügungen vor...“ Noch ahnt Sophie nicht, was mit dem Testament ihres Onkels auf sie zukommt. Der aber muss bei der Abfassung des Schreibens gewusst haben, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Deshalb hat er nicht nur festgelegt, dass Sophie das Kaffeehaus leiten soll, er hat ihr auch seinen langjährigen Mitarbeiter Toni Schleiderer zur Seite gestellt. Der soll sie in alle Geschäftsbeziehungen einweisen. Die Autorin hat erneut einen spannenden historischen Roman geschrieben. Dieser letzte Teil der Trilogie schließt zeitnah an den Vorgängerband an. Der Schriftstil ist ausgereift und passt sich perfekt den jeweiligen Geschehnissen an. Obwohl Sophies Onkel an viel gedacht hat, ist ihm eines entgangen. Die Menschen sind nicht immer so, wie sie scheinen. Toni hatte sich weit mehr erhofft. Es fällt ihm schwer zu akzeptieren, dass Sophie bei allen Entscheidungen das letzte Wort hat. Die Probleme zeigen sich in einem Gespräch zwischen Sophie und Ida. „...“Möglicherweise hatte meine Idee für Tonis Geschmack sogar zu viel Erfolg“, blieb Sophie sarkastisch. „Anfangs befürchtete er nämlich, der Umsatz, den wir mit dem Lunch machen, würde nicht einmal die Unkosten für die Inserate decken“...“ Sophie hat viele Ideen, was sie gern ändern und verbessern würde. Doch es bleibt schwierig. Dabei führt mich die Autorin gekonnt in die Kaffeehauskultur in Wien ein. Gut herausgearbeitet werden die Unterschiede zwischen einem Café und einem Kaffeehaus. Sophie verfügt über beides. „...Natürlich wird im Café jede Besucherin von dem sie bedienenden Serviermädchen […] zu dieser Kasse geführt. Im Kaffeehaus trat jeder Gast selbstständig an den Tresen der Sitzkassiererin...“ Sophie ist lernwillig und schaut, wie es im Sacher oder bei Demel zugeht. Eine große Rolle spielen die Ereignisse der Zeit. So engagiert sich Sophie für ein Frauenhaus, hat Verständnis für den Streik der Arbeiterinnen und erfährt so eine Menge über die Verhältnisse in den ärmeren Schichten. Im Kaffeehaus treffen sich Personen der Weltgeschichte, sei es der Psychologe Siegmund Freund oder der Maler Klimt und der Autor Dr. Arthur Schnitzler. Vor allem Klimt äußert sich auch kritisch. „...Man stellt dort nur Werke aus, die den alten Stilrichtungen verhaftet sind. Jede moderne Strömung wird durch eine harsche Zensur im Keim erstickt...“ Auch der technische Fortschritt macht um das Kaffeehaus keinen Bogen. Sophie erwirbt eine Telefon und eine Maschine der Schweizer Firma Lindt, die die Schokoladenherstellung im wahrsten Sinne des Wortes revolutioniert. „...Ich wollte mir doch einmal den neumodischen Fernsprecher anschauen, den das Sacher angeblich bereits installiert hat...“ Für Sophies Privatleben gibt es wenig Hoffnung. Richard ist immer noch an Amalie gebunden, obwohl beide unglücklich in der Ehe sind und sich einen gewissen Freiraum nehmen. Dabei achtet Richard aber strikt darauf, Sophie nicht zu kompromittieren. Auch Sophies Mutter verlässt ihren Ehemann. An der Stelle wird deutlich, wann eine Scheidung überhaupt möglich war und was für Konsequenzen sie nach sich ziehen würde. Der Anwalt warnt Sophies Mutter davor, solange sie auch ohne Scheidung mit der Trennung von Tisch und Bett gut leben kann. Auf ein letztes Thema möchte ich noch hinweisen. Das ist der zunehmende Judenhass, der speziell von Lueger, dem Kandidaten für das Bürgermeisteramt befeuert wird. Die Autorin allerdings arbeitet seine Scheinheiligkeit in dieser Frage deutlich heraus. Das Buch verfügt über einen hohen Spannungsbogen, gut ausgearbeitete Gespräche und zeugt von der umfangreichen und exakte Recherche der Autorin. Durch Richard zum Beispiel bekomme ich Einblicke in das Militär und dessen Regeln zur damaligen Zeit. Ein umfangreiches Personenregister, mehrere Karten von Wien und Europa sowie ein aussagekräftiges Nachwort ergänzen das Buch. Die Geschichte hat mir ausgezeichnet gefallen. Sie ist ein gelungenes Zeitgemälde.

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