seeker7
Vorbemerkung: Dies ist eine sehr persönliche Rezension (noch mehr als sonst)! Wenn einer der anerkannt großen Vertreter der amerikanischen Gegenwartsliteratur einen Roman schreibt, in dem ein alleinerziehender Astro-Physiker seinem psychisch-auffälligen neunjährige Sohn jedem Abend vor dem Einschlafen von einem anderen erdachten Planeten und seinen Lebewesen erzählt – dann bin sich schon optimal aktiviert. Wenn dann dieser Junge (Robby) sich dadurch zu regulieren lernt, dass er mit modernsten Methoden der Neuropsychologie vorgegebene Erregungsmuster von positiven Hirn-Scans nachahmt – dann nähert sich mein Zustand schon einer mittleren Euphorie. Wenn dann diese Junge nicht nur am Verlust seiner Mutter leidet, sondern auch an der Unfähigkeit der Menschen, die Bedürfnisse der Mitgeschöpfe und der Natur insgesamt zu berücksichtigen – dann beginne ich mir Sorgen zu machen, ob ich wohl mit den üblichen fünf Bewertungssternchen auskommen werde. Dieses Buch ist klug, informativ, emotional, empathisch, kreativ und insgesamt extrem anregend. Alle seine Facetten wären schon als einzelne Bücher bemerkenswert: als Einführung in die moderne Astrologie (insbesondere bzgl. der Suche nach Leben auf Exoplaneten), als Vater/Sohn-Bewältigungsroman nach Verlust von Partnerin/Mutter, als Einblick in die ökologische Katastrophe des Artensterbens, als Information über das zunehmend wissenschaftsfeindliche Klima in den USA, als Grundkurs in die aktuelle Neurowissenschaft, als Diskussionsbeitrag über die Herausforderungen und Reaktionsmöglichkeiten beim Zusammenleben mit einem stark verhaltensauffälligen Kind, als ergreifende Dauer-Liebeserklärung an eine verlorene Partnerin. In diesem Buch steckt das alles gleichzeitig! Durch die persönliche Perspektive des Ich-Erzählers bekommt der Roman eine zusätzliche emotionale Intensität. Dieser Vater ist nicht perfekt, er leidet an seinen eigenen Widersprüchen und Grenzen. Aber es erscheint kaum möglich, sich nicht mit seinem geradezu übermenschlichen Bestreben zu identifizieren, seinem Sohn der bestmögliche Begleiter in einer schwierigen inneren und äußeren Welt zu sein. Man bangt mit ihm, man hofft mit ihm, man bewundert ihn. Man versteht, dass er manchmal an die Grenzen des Machbaren und Vertretbaren geht (und gelegentlich scheitert). Doch das ist noch gar nichts – im Vergleich zu den Gefühlen, die man Robby entgegenbringt! Man muss dieses Kind einfach lieben – es geht gar nicht anders. Und die Beziehung zwischen Vater und Sohn wird auf eine so ein- und mitfühlende Weise geschildert, dass man es manchmal (vor Rührung) kaum aushält. Das ist auch der einzige Aspekt, an dem sich eine kritische Anmerkung anbieten könnte: Irgendwie sind die beiden Figuren vielleicht ein wenig zu perfekt geraten: der Vater zu verständnisvoll, der Junge schon ein wenig zu verständig, weitsichtig und weise. Ich kann POWERS das gut nachsehen – denn er hat auf diese Weise ein wahrhaft zauberhaftes Buch geschrieben, in dem die wichtigsten Botschaften an die Leser bzw. an die Welt aus dem Munde eben dieses Jungen kommen. Es gibt keinen Zweifel, dass dieses Buch auch wegen der Dringlichkeit des Umsteuerns geschrieben wurde. Eine kreativere Verpackung einer Message ist kaum vorstellbar. Dass darüber hinaus in diesem genialen Text auch noch die ethischen Grenzen der Hirnforschung und die Frage der Psychopharmaka-Therapie bei Kindern thematisiert werden, ist noch eine weitere Zugabe. Über das Ende dieses Romans zu sprechen, verbietet sich eindeutig. Es macht jedenfalls die Antworten auf die grundsätzlichen Fragen eher schwieriger als leichter. Als Leser/in hat man noch ein bisschen zusätzliches Gepäck, das über den Lesegenuss hinausgeht. Was kann ein Buch mehr leisten? Ist das Buch auch unterhaltsam? In mir sperrt sich alles gegen diesen Begriff: Er ist einfach viel zu banal, um der erzählerischen und inhaltlichen Energie dieses Buches gerecht zu werden. Man durchlebt und durchfiebert dieses Buch – die Frage der Unterhaltung stellt sich dabei einfach nicht. Ja, ich habe zwischendurch den sechsten Bewertungsstern vermisst. POWERS hat für mich das Buch des Jahres geschrieben.