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Der Anfang: «Aber im Mutterland gibt es Kirschen. Große und glänzende Kirschen, die Mädchen hängen sie sich an die Ohren. Hübsche Mädchen, wie es sie nur im Mutterland gibt.» 1975 nach der Nelkenrevolution, warten der 15-jährige portugiesische Rui und seiner Familie in ihrem Haus in Luanda, der Hauptstadt Angolas, auf den Onkel, der sie zum Flughafen zu bringen wird. Alle anderen Häuser in der Umgebung stehen bereits leer oder sind von neuen, dunkelhäutigen Nachbarn besetzt worden. Schüsse auf der Straße, und dann taucht ein Jeep der Befreiungsarmee auf, verhaftet den Vater. Unter den Revolutionären befinden sich sogar ehemalige Angestellte. Die Mutter und die Kinder fliegen allein ins «Mutterland». Hier werden sie mit anderen Flüchtlingen in einem fünf Sterne Hotel untergebracht, warten auf den Vater, der nachkommen soll. «Angola ist vorbei, kaputt, der Kaffee, die Baumwolle, der Sisal, das Palmöl, die Diamanten, das Erdöl, kaputt, alles vorbei.» Dulce Maria Cardosos Roman hat autobiografische Grundlagen, auch sie musste, wie ihr Protagonist 1975 aus Angola fliehen, die Geschichte der «retornados». Die Kolonien haben sich von Portugal losgesagt. Die Eltern von Rui waren aus dem armen Portugal nach Angola ausgewandert, um hier ein neues Leben aufzubauen. Mit harter Arbeit hatte der Vater es geschafft, er hatte mit Kaffee und Baumwolle gehandelt, besaß ein Haus und mehrere Lkws. Das alles will er anzünden, bevor er mit der Familie wieder zurückkehrt ins Mutterland. Nichts will er den «Pretos» (die damalige verächtliche portugiesische Bezeichnung für die Schwarzafrikaner) zurücklassen, den «Matumbos» und «Pretalhada», den Dummköpfen und Gesocks. Sie also sollen die Unterdrücker gewesen sein? Die Familie versteht es nicht. Zurück nach Portugal, aber jeder darf nur einen Koffer mitnehmen, nur einen kleinen Geldbetrag. Sie müssen alles zurücklassen, was sie besitzen, worauf sie stolz sind. Die Perspektive eines Teenagers, eines Kolonialisten, der von den Pretos aus dem Land gejagt wird – der nun im Mutterland ein Fremder ist, ein Unprivilegierter, den man letztendlich nicht haben will – der soziale Abstieg. Der Junge ist traumatisiert. Er kommt im Gegensatz zur Schwester in der Schule nicht klar, erlebt Diskriminierung – eben genau das, was der den Schwarzafrikanern selbst entgegenbrachte – ist geplagt von der Sorge um das Schicksal des Vaters und den Gesundheitszustand seiner Mutter. Die Enge des Hotelzimmers, das Gemeinschaftsessen mit den anderen Flüchtlingen bestimmt den Tag. Über die Kolonien an sich oder die Gründe der Nelkenrevolution erfährt man in diesem Roman nichts. Die Autorin berichtet ganz aus der Sicht des Jugendlichen, wie er die Vertreibung wahrnimmt, zeigt seine Ängste auf, seine in ihm brodelnde Wut. Er befindet sich in einem Land, das sich zu diesem Zeitpunkt gerade selbst von der Diktatur befreit hat – auch darüber kein Wort – in Portugal hatten linke Militärs gegen die autoritäre Diktatur des Estado Novo geputscht. Daraufhin gab es in Angola einen blutigen Krieg für die Unabhängigkeit. Aber dies ist die Geschichte von Rui, ein Entwicklungsroman. Er berichtet aus seiner Wahrnehmung von seinen Beobachtungen und Gefühlen. «Im Fernsehsaal schwirren die Nachrichten nur so herum, alle wollen kritisieren, was die Kommunen unternehmen, die Landreform, die Verstaatlichungen, die Kommunen werden alles kaputtmachen, sie haben die Kolonien kaputtgemacht, jetzt werden sie das Mutterland kaputtmachen, sagt Paca, aber egal, alles, was Wert hatte, ist ja schon verloren.» Dulce Maria Cardoso berichtet über die Empfindungen eines Jugendlichen, seine Traumata. Die Rückkehrer im Hotel sind zudem entsetzt über das Mutterland, in dem es politisch hoch her geht nach dem eigenen Putsch im Land. Die Autorin wertet nicht. Stellt nicht die Frage, ob diese Menschen nun Rückkehrer oder Flüchtlinge sind. Denn diese Frage stellt man sich in Portugal gesellschaftlich noch heute. Ein persönlicher Rückblick in die Kolonialgeschichte aus der Sicht eines Kindes, das ganz sicher nichts zu seinem Schicksal beigetragen hat – der Fremde im Mutterland, der die gleiche Sprache spricht, die aber doch so fremd klingt, so hart, da das Portugiesisch in den Kolonien einen viel weicheren Klang hatte. Opfer und Täter in der Sprache. Rui, der verächtlich über die Schwarzen spricht, diskriminiert mit Worten, er der nun in seiner Muttersprache beschimpft wird, diskriminiert wird. Vom Gewinner zum Verlierer. Die Rückkehrer bekommen Kleiderspenden gestellt, Kleidung, die viel zu groß ist, Pullover, übersäht mit Knötchen; einen gelben Ausweis für das Gratis-Schulessen. Die Scham ist groß für den Jungen – man wird sofort als «retornado» erkannt. Ebenso groß ist die Wut. Lehrerinnen, die diese Kinder nicht namentlich ansprechen, die sie diskriminieren und schikanieren. Seine Sprache ist in diesen Augenblicken roh, voller Schimpfworte, die er fast ausspuckt vor Wurt. Rui ist verzweifelt, denn er macht sich Sorgen um seinen Vater, von dem er nicht weiß, ob er noch lebt, um die Mutter, die krank ist, um sich selbst und seine Zukunft. Ein Stück Zeitgeschehen, knapp 50 Jahre sind seither vergangen. Eine Geschichte, die nachhallt, die in ähnlicher Weise jeden Tag auf der Welt geschieht. Dulce Maria Cardoso ( geb. 1964, in Fonte Longa, Trás- os-Montes, Portugal ) zog mit sechs Monaten gemeinsam mit ihrer Mutter zum Vater nach Luanda in Angola. Von dort kehrte sie elf Jahre später zu Beginn des Bürgerkrieges nach Portugal zurück. Mit 14 Jahren beschloss sie, zu schreiben, studierte zunächst aber Jura. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter 2009 der Literaturpreis der Europäischen Union. 2011 war sie Stipendiatin der Villa Concordia in Bamberg. O Retorno war ihre fünfte Veröffentlichung und ihr Durchbruch als Schriftstellerin.