letterrausch
Mein Berührungspunkt mit der großen Maria Callas ist ein sehr kleiner: „Philadelphia“ - ja genau, der Film mit Tom Hanks. In einer Szene, schon schwer von seiner Aids-Erkrankung gezeichnet, hört Andrew Beckett (Hanks) eine Callas-Arie. Es ist so ungefähr das einzige, woran ich mich bei diesem Film erinnern kann, dabei bin ich kein großer Opernfan. Immerhin bin ich damit in guter Gesellschaft, denn auch Autorin Eva Baronsky behauptet, keinen besonderen Bezug zur Oper zu haben. Auch mit Maria Callas verband sie nichts. Bis ein Freund ihr den Floh ins Ohr setzte, das genau sie sich besonders dafür eignen würde, über die Callas zu schreiben. Woraufhin sie begann, sich mit der Operndiva zu beschäftigen. Nun gut, man kann solche Aussagen für bare Münze nehmen oder für moderne Legendenbildung halten (etwas, das auch die Callas bis zur Perfektion beherrschte). Fakt ist: Eva Baronsky hat reichlich über die Callas gelesen und deren Leben in einen Roman gegossen. Und zwar in einen guten. Aufhänger ist ihre Affäre mit dem damals reichsten Mann der Welt: Aristoteles Onassis (ja, genau der Onassis, der später Jackie Kennedy ehelichen wird). Auf seine Yacht, die Christina, lädt er mit schöner Regelmäßigkeit Gäste ein, um mit ihnen durchs Mittelmeer zu schippern. Und dieses Mal, im Jahr 1959 sind unter anderem Maria Callas und ihr Mann Battista Meneghini mit an Bord. Meneghini, der sich als Mastermind hinter Marias kometenhaftem Aufstieg inszeniert, ist deutlich älter als Maria. Alt, dick, müde. Die beiden verbindet eine Zweckgemeinschaft, Leidenschaft hat in ihrer Beziehung keinen Platz. Und hier kommt Ari ins Spiel: Immer noch älter als Maria, aber ein Gentleman, ein Lebemann, ein Hans Dampf in allen Gassen. Stets bemüht, seine Gäste mit Luxus und bester Unterhaltung zu umgeben. Zwischen Ari und Maria wird es bald funken, doch beide sind verheiratet. Und es macht auch nicht den Anschein, als wäre Ari in der Lage, treu zu sein. Als Leser verfolgt man diese Amour fou zwar durchaus wohlwollend, doch wird bald klar, dass das langfristig nicht gutgehen kann. Letztendlich wird das, was 1959 auf der Christina beginnt, alle Beteiligten ins Unglück stürzen. Darüber hinaus rollt Baronsky auch noch die Kindheit und Jugend der Callas auf: Amerikanerin mit griechischen Wurzeln, geht als Jugendliche mit ihrer Mutter nach Athen, um Gesangsunterricht zu nehmen. Stämmig gebaut und auch noch dick, stark kurzsichtig und mit einer zu großen Nase kann man sie kaum als klassische Schönheit bezeichnen. Sie hungert sich schließlich auf eine Wespentaille herunter, um auf der Bühne erfolgreich zu sein. Ganz offenbar ist Maria Callas eine Frau mit eisernem Willen und eiserner Disziplin – etwas, das sie mit Onassis verbindet. Beide haben sich aus dem Nichts heraus hochgearbeitet, beide erkennen im anderen letztlich sich selbst. Und letztlich sind sie sich vermutlich zu ähnlich, als dass ihre Affäre die Zeit hätte überdauern können. Zwar kamen sie zeitlebens nicht voneinander los, doch miteinander leben konnten sie scheinbar auch nicht. Man sieht schon: Perfekter Stoff für einen Roman. Was „Die Stimme meiner Mutter“ jedoch so besonders macht, ist die Erzähstimme. Ziemlich bald erkennt man als Leser, dass hier das ungeborene Kind der Callas, Omero, erzählt. Vielleicht hat es dieses Kind, gezeugt auf der Christina, gegeben. Vielleicht auch nicht. Die Gerüchteküche ist sich da wohl nicht ganz einig. In jedem Fall schwebt diese Erzählstimme über allen Charakteren, über der Zeit und über der Handlung. Sie ist allwissend, kann jeder Figur in den Kopf schauen. Sie weiß, was Maria denkt, was Meneghini fürchtet, was Onassis plant. Sie kann jederzeit jeden Faden der Handlung verfolgen und genauer betrachten. Gleichzeitig ist diese Erzählstimme aber auch parteiisch – sie stellt sich deutlich auf Marias und Aris Seite, will unbedingt, dass die beiden zueinander finden und weiß doch gleichzeitig, dass das nicht funktionieren wird. Sie beobachtet interessiert verschiedene Optionen der eigenen Menschwerdung, als probiere sie eine Jacke an. Dieser literarische Kniff sorgt für die Spannung innerhalb der Erzählung, denn immer ist der Leser aufgefordert, das Erzählte zu hinterfragen. Wie weit vertraut man also dieser einerseits auktorialen, andererseits parteiischen Erzählstimme? Wo ist Omero Herr der Erzählung und wo lässt er sich von seinen eigenen Gefühlen leiten und ins Bockshorn jagen? Dies gibt der Handlung eine zweite Metaebene, mit der Barosnky geschickt jede mögliche Kritik im Keim erstickt, sie wäre nicht faktentreu. Sie hat kein Sachbuch geschrieben, sondern einen Roman. Die Geschichte, die sie erzählt, soll plausibel sein, doch naturgemäß muss sie beim Beschreiben echter Menschen und echter Ereignisse einige historische Leerstellen füllen. An diesem Kreuzungspunkt Omero einzufügen und ihn die Verantwortung für die Handlung übernehmen zu lassen, ist ein ziemlich genialer Einfall Baronskys. Mir, der wenig opern-gebildeten, hat der Roman jedenfalls außerordentlich gut gefallen. Er hat mich neugierig auf mehr gemacht – mehr über die Callas, mehr über Onassis. Ja sogar mehr über eine Zeit, in der man mit einem zur Yacht umgebauten Kriegsschiff die Gesellschaftsspalten der Presse in Atem halten konnte. (Die heutigen Besitzer aller möglicher Superyachten lachen sich über das Schiffchen des Aristoteles Onassis wahrscheinlich schlapp.) Zur Lektüre empfiehlt es sich natürlich, der Stimme der Callas zu lauschen. Über die Jahre hat sie nichts von ihrem Zauber eingebüßt.