thomas_gutsche
1982 bin ich nach Berlin gezogen und lebe seither, unterbrochen von zwei längeren Auslandsaufenthalten, in dieser Stadt. Dennoch, und wenn ich noch 100 Jahre hier leben würde, mein Bild und meine Kenntnis von Berlin hätten eine große Lücke ohne das Wissen um Glück und Leid in der Bahnhofsmission am Zoo. Diese Lücke wird nun grandios geschlossen von einem Buch, das für mich den einzigen Nachteil hat, dass es dicker sein könnte. Aber vielleicht kommt da ja noch was... Dieter Puhl leitet diese Einrichtung seit vielen Jahren und seine Schilderungen aus dieser Zeit geben nebenbei zusätzlich zu allen Einblicken auch ein Stück Geschichte wider, Geschichte einer Stadt, einer Gesellschaft, eines Sozialsystems. Im Gegensatz zu einem Buch, das ich auch hier empfohlen habe, "Kein Dach über dem Leben" von Richard Brox, geht es in Dieter Puhls "Glück und Leid am Bahnhof zu" auch, aber weniger um die Schicksale, die hinter denen liegen, die in der Bahnhofsmission Zuflucht und Hilfe suchen, es geht auch viel um die Helfer, ihre Hintergründe, ihre Probleme, ihre Freuden. Das ist eine gute Mischung, denn sie beweist, dass auch in scheinbar hoffnungslosen Fällen Hilfe möglich ist und wirklich jede/r irgendetwas tun kann/könnte, um Hilfe zu geben. Ein für mich sehr schöner Nebeneffekt ist außerdem, dass man sehen kann, dass eben auch die oft und viel geschmähten "Spitzen der Gesellschaft" aus Menschen bestehen, unter denen es Mitgefühl gibt, Solidarität, Hilfsbereitschaft. Das betrifft in diesem Fall besonders Mitglieder des Managements der Deutschen Bahn. In Zukunft werde ich mit einem noch besseren Gefühl als bisher Bahn fahren. Und es zeigt, dass Aktivität und Hilfsbereitschaft durchaus menschliche Grundbedürfnisse sind die nicht zum Stillstand kommen, wenn man den Menschen die Existenzangst nähme, etwa durch ein Grundeinkommen. Aber das ist ein anderes Thema. Allen Berlinern, allen an der Gesellschaft Interessierten, allen, die Freude an guten Geschichten aus der menschlichen Lebenswelt haben, also eigentlich allen empfehle ich dieses Buch.