Profilbild von Yvonne Franke

Yvonne Franke

Posted on 12.11.2021

Eve Enslers "Vagina Monologe" waren damals ein Befreiungsschlag für eine ganze Generation. Vielleicht sogar für zwei. Ich war Anfang 20, als ich das Stück in seiner deutschen Fassung in einer Fabrikhalle in Berlin (ich glaube in Treptow) sah und schon das Wort auf den Plakaten geschrieben zu sehen, tat so gut. "Vagina" – ganz ohne Scham. Ich bin ihr dankbar dafür, dieser mutigen Frau. Ja, wirklich. Und es ist auch ihr Verdienst, dass das heute albern klingt. Trotzdem war ich mir unsicher, was ich von ihrem neuen Buch "Die Entschuldigung" halten sollte. Das klang einfach komisch gefühlig. "Eve Ensler hat ihr Leben lang auf eine Entschuldigung gewartet. Von ihrem Vater, der sie als Kind missbraucht hat. Doch sie wartete vergebens, bis er schließlich starb. Kein Wort der Reue, keine Anerkennung ihres Leids. Nun, Jahrzehnte später, hat Ensler sich selbst einen Brief geschrieben, im Namen ihres Vater ..." schreibt der Verlag Ullstein über Enslers Buch. Das klingt nach erschriebener Selbsthilfe, fand ich. Schön für sie, aber muss ich das lesen? Ich hab das in mir hin und her gewälzt. Und schließlich kamen mir Zweifel. War das eine Ausrede? Hatte ich vielleicht nur Angst, mir das anzusehen? Naja, ihr ahnt es schon: Ich hab's gelesen. Und es ist hart. Ich möchte alle warnen, die eigene Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch machen mussten. Überspringt die Seiten 48 bis (einschließlich) 54. Die müsst ihr euch nicht antun. Aber ansonsten ist die Lektüre ein schmerzhafter, aber letztendlich wohltuender Trip. Eine Selbstermächtigung. Ensler eignet sich die Geschichte ihres Vaters an. Erzählt die Qualen seiner Kindheit und die Begründungen, die er sich für seine eigenen Grausamkeiten zurechtgelegt hat, in so vielen Details, dass zumindest einige davon erfunden sein müssen. Und das tut gut. Er hat sich entschieden zu schweigen und jetzt, mehr als 30 Jahre nach seinem Tod, hat er einfach Pech gehabt. Jetzt gehört sein Leben und alle Erklärungen, die sie braucht, um sich von ihm zu befreien, ihr. Ein so notwendiges Buch, in dessen Zusammenhang die Autorin zum letzten Mal Eve Ensler genannt werden möchte. Sie hat inzwischen ihren Namen abgelegt, nennt sich nur noch V. Eine Metamorphose hat stattgefunden. Eine heilsame hoffentlich.

zurück nach oben