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Bris Buchstoff

Posted on 11.11.2021

Von der Schönheit der Meere und seiner Bewohner Weite, Wellen, den Geist Ruhe finden lassen, das ist es, was ich mit meinen Besuchen am Meer verbinde. Witzigerweise findet sich ja auch ganz häufig in der Literatur das Bild der Stille unter Wasser. Und das ist völlig falsch, wie Bill François in seinem (Sach)-Buch über das, was da unter Wasser nicht nur auditiv tatsächlich abgeht, klarstelt. Seine eigene Liebe zu dem Bereich unseres Planeten, der – wie wir ja wissen – größtenteils noch nicht erforscht ist und 71 Prozent dessen Oberfläche ausmacht, geht zurück auf die Begegnung mit einer Sardine. Ihr einzigartiges Glitzern in einer Pfütze am Strand, völlig unerwartet und vor allem auch außergewöhnlich, weil sich Sardinen kaum so nah an die Küste verirren, um in diese für sie missliche Lage zu kommen. Und weil das so ist, werden die meisten von uns niemals in die Situation kommen, die Schönheit einer lebenden Sardine bewundern zu dürfen. Dafür aber haben wir dank François ein wunderbares Buch, gespickt mit Fachwissen und in einer poetischer Sprache, die die Liebe zu seinem Sujet in jeder Zeile spüren lässt. Aber nicht nur Liebe ist es, die aus François Worten spricht, sondern fundierte Kenntnis. Der Physiker erforscht schließlich die Hydrodynamik aquatischer Lebewesen und ist äußerst belesen, was Geschichten rund um die Meere und deren Bewohner angeht. Die Faszination der Geschichten, die er bei seiner Suche nach Antworten auftut, überträgt sich mit Leichtigkeit auf die Leserin. Nach jedem Kapitel habe ich das Buch kurz beiseite gelegt, um das Gelesene sacken zu lassen und die Verknüpfungen, die durch die Geschichten in meinem Kopf passiert sind, zu festigen. Immer wollte ich meinem Mann und meinem Sohn nur kurz einen kleinen Abschnitt vorlesen, doch dabei blieb es nicht. Gerade mein 13 Jähriger wollte, dass ich weiter vorlese. Mythen und Legenden, wie die über das „Goldene Vlies“ wurden zwar geklärt, aber nicht entzaubert, wissen wir jetzt, woher das Vlies stammt und wie selten es wirklich ist. Vor allem geht es in diesem Buch aber auch um Kommunikation. Verbale und non-verbale, zwischen den aquatischen Lebewesen untereinander und auch mit uns Menschen. Ja, wir beziehungsweise sie kommunizieren mit uns. Die bekannteste Art der Kommunikation untereinander ist sicherlich die der Walgesänge. Ähnlich wie bei uns Menschen gibt es auch bei den Walen quasi Dialekte. Und einen Wal gibt es, der niemals eine Antwort auf seinen Ruf bekommt, so speziell ist dieser. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieser Wal hörgeschädigt und deshalb nicht fähig ist, die für andere Wale bekannten Gesänge durch die Meere zu schicken. Denn tatsächlich kann Wasser Töne, also Schall, besser transportieren als Luft, da Schall vibrierende Masse und Wasser dichter als Luft ist. Dabei spielen aber auch die unterschiedlichen Wärmeschichten des Wassers ebenso eine Rolle, wie der Salzgehalt des Wassers. Die Wale wissen das zu nutzen und haben so etwas wie eine unterseeische Telefonverbindung etabliert, was François perfekt und dennoch verständlich erklärt. […] Diese Grenze zwischen warmem und kaltem Wasser ist eine Art Schallfalle. Ist der Schall auf dem Weg an die Oberfläche, stößt er gegen warmes Wasser, das ihn aufgrund der höheren Temperatur beschleunigt, wodurch seine Bahn nach unten gestaucht wird; auf dem Weg nach unten prallt er auf kaltes Wasser, das ihn aufgrund des höheren Drucks beschleunigt, wodurch seine Bahn nach oben gestaucht wird. Er wird also der Thermokline [so nennt man den Punkt, an dem die beiden Ebenen kalt und warm aufeinandertreffen Anm. der Verfasserin] gleichsam von den Wassermassen gefangen genommen. Singen die Wale nun in genau diesem Klangkanal, am Übergang vom warmen zum kalten Wasser, breitet sich ihre Stimme, von dessen Rändern auf- und abprallend, über Tausende Kilometer in nahezu gerader Linie aus, ohne schwächer zu werden, wie Licht in einem Glasfaserkabel. Dabei hatte ich immer das Gefühl, dass hier Antworten gegeben werden, dabei neue Fragen auftauchen, nichs entzaubert wird, aber die Fakten und vor allem, wie sie von François dargeboten werden, zeigt, dass Magie tatsächlich auf unserem Planeten existiert und die Wissenschaft ein Teil davon ist, weil sie uns die Genialität unseres wunderschönen Planeten zeigt. Den Kapiteln ist immer so etwas wie eine kleine Einführung voangestellt, die anzeigt, worüber François hier erzählen wird. Die Illustrationen, die im Buch zu finden sind, steuert der Tausendsassa François auch noch selbst bei. Ein kleines Schmuckstück ist ihm da gelungen, das man immer wieder in die Hand nimmt, um die Geschichten, die da drin stecken erneut zum Leben zu erwecken. Und vielleicht an den einen oder anderen Ort, von dem sie handeln, selbst aufzusuchen. Meinen Sohn hat es darin bestärkt, dass er mehr von diesen Geheminissen wissen will, eigene Antworten finden, auf die weiteren Fragen, die sich da auftun. Vielleicht als Meeresbiologe, vielleicht durch eine andere naturwissenschaftliche Disziplin. Das wird sich zeigen. Auf jeden Fall aber hat dieses Buch den Funken, der bei ihm schon vorhanden war, richtig gezündet. Und ich bin ob der Schönheit der Beschreibungen, der Sprache und des Wissens, das mir in manchen Fällen sogar über jahrhunderte alte Bräuche und Gepflogenheiten nahe gebracht und ob der Genialität, die das Leben im Wasser hervorgebracht hat, über diese Lektüre äußerst dankbar und fast sprachlos. Ein Regaljuwel.

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