Buchdoktor
Paolo und seine Clique waren bekannt für ehrgeizige Experimente; sie hatten bereits versucht, ein Ultraleicht-Flugzeug zu konstruieren. Ihren Eltern konnte bei diesem Ideenreichtum schon mal der Angstschweiß auf der Stirn stehen. Als es zwischen Antonios Familie und Bürgermeister Palama zum Konflikt um die Olivenplantage Casa Vulia kommt, beschließen Paolo, Antonio, Laerte, Bea und Elena, auf dem Gelände einen von Italien unabhängigen Klein-Staat der Kinder zu gründen. Glücklicherweise sind es nur noch wenige Tage bis zum Beginn der Sommerferien. Paolo findet, dass das endlich einmal ein neuer Ansatz wäre; denn nur Erwachsene hätten ja bisher die Kriege geführt. Anregung und Vorbild für ihre Idee ist eine Urkunde von 1861, die die Jungen beim Spielen mitsamt einer ledernen Schatulle in einer alten Hirtenhütte aus dem Lehmboden ausgraben. Damals schon hatte Räuberhauptmann Giovanno Rizzo dem Gouverneur von Otranto die Unabhängigkeit der Casa Vulia und des umliegenden Geländes erklärt. Was für ein Zufall, dass der Räuberhauptmann genauso heißt wie Antonios Vater. Bürgermeister Palama sitzt offenbar zwischen allen Stühlen. Er soll in Pagliarano für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze sorgen und hat auf Luxustourismus gesetzt. Familie Rizzo ist ihm mit ihrem geplanten kleinen Gästehaus dabei ein Dorn im Auge. Vor allem konnte Palama bisher Rizzos und ihre Nachbarn weder im Guten noch im Bösen dazu bringen, seiner Unternehmensgruppe ihr Land zu verkaufen. Der Konflikt, der damals Giovanni Rizzo dazu trieb, einen unabhängigen Kleinstaat zu erklären, ähnelt verdächtig den aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Palama und den Arbeitern, die ihre Grundstücke nicht verkaufen wollen. Man fragt sich, wer später in Palamas Hotelkomplex arbeiten wird, wenn er schon heute seine möglichen Arbeitskräfte über den Tisch zieht. Die unterschiedlichen Stärken der Kinder bringen ihr Projekt erstaunlich schnell voran. U. a. sind das Bea, die täglich ungeduldig überprüft, ob sie endlich die Mindestgröße für den Polizeidienst erreicht hat, Paolo, der Ideenbrüter und Laerte, dessen überbesorgte Mutter überall Krankheiten lauern sieht. Die Staatsgründung bringt Bea dazu, die Gewaltenteilung zu begreifen; denn „ein König kann nicht zugleich Richter sein“. Als die Kinder ihr Projekt in den Sozialen Medien ankündigen, erzielen sie damit europaweit ungeahnte Resonanz bei Familien mit Kindern. Doch zunächst müssen sie den Krieg mit Mattias „Bande der Bösen“ bestehen, mit der besonders Antonio schlechte Erfahrungen hat. Der Revolutionär von heute muss mit aufgeladenem Handy in den Kampf ziehen, lernt man hier. Gefallen hat mir die Rolle des Opas als Geschichtenbewahrer, der darauf hinweist, dass ein junger unabhängiger Staat seine Probleme selbst lösen muss … Davide Morosinottos Abenteuer einer Kinderbande verbindet ein Ferienabenteuer mit der alten Geschichte eines Räuberhauptmanns wider Willen und vermittelt zugleich Italien-Feeling. Im Nachwort weist Morosinotto darauf hin, dass es unabhängige Kleinstaaten schon immer gegeben hat. Bei Morosinotto sind Spekulanten besonders skrupellos, Arbeiter besonders rechtlos und das Ansehen von Mädchen darf stärker auf Schönheit als auf Intelligenz beruhen. Immerhin gibt es eine studierende ältere Schwester, die juristischen Rat einholen kann. Welchen Einfluss Kinder auf unsere Welt haben und wie sie sich Gehör verschaffen können, lese ich in der Jugendliteratur immer wieder gern und empfehle das Ferienabenteuer daher ebenso gern.