Matzbach
Wie soll man ein Buch vorstellen, das kaum Handlung enthält? Schwer, aber nicht unmöglich. "Wiener Straße" setzt da an, wo "Der kleine Bruder" aufgehört hat. Frank Lehmann ist frisch in Berlin angekommen und muss erst einmal sehen, wie er dort klar kommt. Doch ist der Roman keineswegs die Fortsetzung der Lehmann-Trilogie, denn dieses Mal geht es zwar auch um, aber nicht nur um ihn. Regner erzählt multiperspektivisch die Geschichten einzelner bereits bekannter Figuren wie Lehmanns bestem Freund Karl (der es hier aber noch nicht ist) oder dem Kneipenbesitzer und Exilschwaben Erwin, und einiger neuer Figuren in der selbsternannten Künstlerszene Kreuzbergs. Dabei gelingt ihm der Spagat zwischen witziger und spritziger Unterhaltung (zahlreiche Leerlaufdialoge und verschrobene Gedanken der Protagonisten sind einfach nur zum wegömmeln) und dem Wecken nostalgischer Gefühle. Für Berlinbesucher aus der ehemaligen Bundesrepublik, so wie ich es damals war, war gerade Kreuzberg mit seiner Mauernähe, seinem heruntergekommenen Charme und seinen zahlreichen Szenekneipen ein Muss und der Kiez, in dem der Frontstadtmythos am deutlichsten zu spüren war. Allein das Schwelgen in den Erinnerungen daran macht das Buch für mich zu einem Lesegenuss, den heutige Berlinbesucher wahrscheinlich gar nicht mehr nachvollziehen können. Früher war nicht unbedingt alles besser, aber irgendwie heimeliger.