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Posted on 3.11.2021

Ein gutes Leben für die eigenen Kinder, das wünschen sich alle Eltern. Manche bringen dafür sehr große Opfer – nur lohnt sich das? Die Rumänin Daniela ist vom einen auf den anderen Tag verschwunden. Hinterlassen hat sie ihrem pubertierenden Sohn, der etwas älteren Tochter und dem Mann einen Brief. Sie wird nun in Italien, genauer Mailand als Pflegekraft arbeiten und Geld nach Hause schicken, um den Kindern ein bestmögliche Ausbildung zu finanzieren. Was macht das mit einer Familie? Ob in der Stadt oder auf dem Land, wer kennt nicht mindestens eine osteuropäische Pflegerin, die in dem Haushalt eines alten und/oder kranken Menschens wohnt und diesen pflegt? Es ist heute fast schon normal und die wenigsten werden sich fragen, was die Abwesenheit der Mutter, Ehefrau, etc., die nun in einem wohlhabenden Land als Pflegerin arbeitet, für die jeweilige Familie bedeutet. Dass es für die Frau ein massiver Einschnitt ist oder zumindest sein kann, dass wird ja häufig vor Ort sichtbar – zumindest, wenn man nicht die Augen vor ihren Problemen verschließt. Genau in den Fokus genommen hat der Autor dieses Phänomen mit seiner fiktiven Geschichte, die jedoch auf Schilderungen von Frauen und Familien basiert, die genau das erlebt haben – die Zerreißung der Familie, der Einsturz eines Fundamentes, welches doch mit allen Mitteln erhalten bleiben und mit Geld noch optimiert werden sollte. Dieses Buch hat mich sehr berührt und extrem nachdenklich gemacht. Die Thematik ist sehr aktuell und brisant, ich kann mir aber auch nicht vorstellen, wie es ohne dieses „System“ funktionieren sollte. Ja, es erfordert viele Opfer, aber was, wenn die Frauen nicht die Möglichkeit haben in der häuslichen Pflege in Deutschland, Italien oder so unterzukommen? Geld benötigen sie auch so und was dann? Dass der Pflegenotstand sich in D und Co durch beispielsweise ein Verbot diese Arbeiterinnen zu engagieren noch verschärfen würde, ist logisch – eine schwierige Geschichte und ich bin froh dieses Buch gelesen zu haben, denn auch wenn es fiktiv ist, so basiert es auf Tatsachen und vor diesen sollten wir die Augen auf keinen Fall verschließen. Davon abgesehen, stellt sich auch die Frage: Was ist wirklich wichtig im Leben? Die perfekte Ausbildung? Geld? Der Schreibstil ist rund, die gewählten Erzählperspektiven sehr gut gewählt, um ein ehrliches, offenes Bild von der Familie zu erhalten. Emotionale Ungleichgewichte werden sehr deutlich, aber beispielsweise auch die Probleme, die die fehlende Mutter in der Familie verursachen kann. Die Charaktere als solche sind nicht so richtig greifbar, aber das finde ich hier weniger schlimm – im Gegenteil, ich habe so noch ein bisschen mehr das Gefühl, dass jede Familie den Platz der drei Erzähler einnehmen könnte, auch die Frau, die nur wenige Häuser weiter ihre Arbeit tut…

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