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phantastische_fluchten

Posted on 30.10.2021

Ich beginne diese Rezension mit dem Klappentext, was ich ja selten mache. Aber es ist eine gute Zusammenfassung: Mein Name ist Amelia Gray. Ich war neun Jahre alt, als ich meinen ersten Geist sah. Heute arbeite ich als Restauratorin auf Friedhöfen, und meine besondere Gabe bringt mich täglich in gefährliche Situationen. Mein Vater brachte mir Regeln bei, die mich schützen sollen. Nach ihnen habe ich streng gelebt ― bis jetzt. Als Detective John Devlin mich um Hilfe bei der Aufklärung einer Mordserie bat, willigte ich ein. Doch nun spüre ich, dass dieser Fall und dieser Mann mich in Gefahr bringen. Die Grenze zwischen der Welt der Geister und unserer scheint immer dünner zu werden. Und manchmal lässt sich eine Tür, die einmal geöffnet wurde, nicht wieder schließen. Kommentar: Amelia Gray hat von ihrem Vater, der ebenfalls Geister sehen kann, folgende Regeln für ihr Leben mitbekommen: Lass die Geister niemals wissen, dass du sie siehst! Bleib in der Nähe von geweihtem Boden! Halte dich fern von Menschen, die heimgesucht werden! Fordere niemals das Schicksal heraus! Als sie John Devlin kennenlernt, bricht sie alle diese Regeln und begibt sich dadurch in Gefahr. Ich muss zugeben, die Grundessenz dieser Geschichte ist durchaus spannend. Der Beruf eines Friedhofrestaurators war mir bisher unbekannt und was man als Leserin darüber erfährt ist wirklich sehr interessant. Wir waren auf Cuba auf diesem grandiosen Columbus Friedhof in Havanna und ich kann mir vorstellen, was für eine Arbeit die Pflege und Instandhaltung macht. Alte Gräber zu restaurieren, die Geschichte dahinter zu erfahren, das klingt sehr spannend und aufregend. Aber die Umsetzung »jagt mir Schauer über den Rücken«. Dieser Satz kommt in dem Buch gefühlt auf jeder zweiten Seite vor. Bei dem zwanzigsten Mal habe ich aufgehört zu zählen. Und wenn Amelia kein Schauer über den Rücken läuft, dann stellen sich ihre Nackenhärchen auf, sobald Devlin in ihre Nähe kommt oder alternativ die Härchen auf ihren Armen. Das ist des Guten zu viel und begräbt den spannenden Storybogen total. Ich habe mir bei Amazon die Rezensionen angesehen und natürlich auch die 1 Sterne Bewertung gelesen und die trifft den Nagel schon auf den Kopf. Amelia negiert sich immer wieder selbst. Sie empfindet sich nicht als schön aber sie weiß, dass andere Menschen sie als schön ansehen. Und natürlich erscheint Devlin immer dann bei ihr, wenn sie gerade im Jogginganzug zu Hause sitzt oder aus einer verstaubten Grabecke herauskriecht und völlig derangiert ist. Hallo! Das ist völlig normal. Abends entspannt man sich und bei der Ausübung des Berufs läuft man nun mal nicht in Minirock und High Heels herum außer man ist Modell. Dieses permanente Understatement hat mich total genervt. Und dass sie wegen dieses dunklen, düsteren, von Geheimnissen umwehten Detektivs alle Regeln bricht muss wirklich auch nicht in jedem Kapitel neu erwähnt werden. Warum müssen junge, intelligente Frauen, sobald sie einen gefährlichen oder geheimnisvollen Mann kennenlernen, ihr Gehirn schon auf Seite eins abgeben? Amelia beschreibt sich selbst als diszipliniert und reserviert, der Leserin vermittelt sie allerdings ein völlig anderes Bild. Außerdem habe ich auch einige Dinge nicht verstanden. Wenn sie adoptiert ist (das ist kein spoilern, das erfährt man gleich zu Beginn) warum kann ihr Vater ebenso die Geister der Verstorbenen sehen? Meines Erachtens konnte sich die Autorin nicht so richtig entscheiden, ob sie einen Romantik-Thriller, einen Krimi oder einen Horror Roman schreiben wollte. Und fehlt jeglicher Funken Humor, Amelia ist eine junge Frau, die mein Mitleid bekommt aber nicht meine Sympathie. Eigentlich braucht sie einen richtigen Tritt in den Hintern, der sie mach wachrüttelt. Ich bin definitiv nicht die Zielgruppe für diesen »Thriller« und ich kann mir durchaus vorstellen, dass er eine begeisterte Leserschaft findet. Hätte der Verlag ihn als Romantik-Thriller angeboten und ihn anders vermarktet, wären Leserinnen wie ich nicht enttäuscht und genervt und wären sicher andere Leserinnen angesprochen worden, die gerne Geschichten mit einer großen Prise Romantik mögen. Es gibt eine ähnliche Serie von Mary Stanton: Bree Winston , Anwältin der Enge, die ich hier als Alternative empfehle. Sie spielt in den gleichen Kreisen (sind die Südstaaten wirklich so?) aber verfügt über eine Prise Humor und jeder Menge witziger Sidekicks. Dort wird mit den Geistern interagiert, was wesentlich spannender ist als hier. Fazit: Dieses Buch empfehle ich Leserinnen, die auch die BISS Reihe mögen, nichts dagegen haben, dass das Frauenbild dem 19. Jahrhundert entspricht, mit dominanten, verführerische Männern, denen etwas leicht Dunkles oder Böses anhaftet, denen »frau« aber nicht widerstehen kann, sei sie auch sonst noch so klug und intelligent. Warum wollen wir uns nochmal emanzipieren?

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