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gwyn

Posted on 30.10.2021

«Augusts erste Erinnerung, auf die er richtig zugreifen konnte, drehte sich um die Scheune.» «Der neue Hemingway für unsere Zeit» wird Callan Wink in den USA hochgelobt. Raus aus dem Männlichkeitswahn, weg von der Pflicht, als Sohn den Job des Vaters zu übernehmen – die Farm zu übernehmen. Ein großartiger Roman war angekündigt. Bis zur Mitte habe ich mich eher gelangweilt, dann hat mich die Geschichte gepackt und kurz danach leider wieder verloren. Das Original heißt schlicht «August», nach seinem Protagonisten, was ich passender finde. Denn es geht hier um August – um nichts anderes – ein Coming-of-Age-Roman im ländlichen Montana. «Unter der Woche war er mit seinem Vater allein. Der immer gleiche Kreislauf der Arbeit. Die Kühe so zugeschissen und dumm wie immer.» August wird auf einer Farm in Michigan geboren, die seine Mutter geerbt hat. Sein Vater Darwin ist zufrieden mit diesem Leben, er baut ein modernes Haus und verkauft das Wochenendhaus der Schwiegereltern, rüstet auf bei seinen Milchkühen. So wächst August im Rhythmus des Farmerlebens auf. Sein Vater bietet ihm einen Dollar pro Schwanz pro getötete Katze, als die Tiere sich zu stark vermehren – er soll die Schwänze an die Scheune nageln. Ein brutales Unterfangen. Die Mutter hingegen hat mit dem Farmerleben nichts am Hut, legt Patiencekarten und liest viel. Das neue Haus kann sie nicht leiden, hält sich eher unten im Elternhaus auf. Ihr Traum ist es, wegzugehen; die Eltern von August entfremden sich immer mehr. Die Mutter nimmt ein Fernstudium zur Bibliothekarin auf, ist begeistert von Fotos aus Montana. Und als der Vater ganz offen eine Liaison mit der Farmhilfe beginnt, bewirbt sie sich auf eine Stelle in Montana, zieht mit dem Sohn an den Stadtrand von Grand Rapids, der zweitgrößten Stadt Michigans als August zwölf ist. «Mantana – wo die Männer Männer sind, und die Frauen auch.› ‹Und die Schafe nervös. Hab ich schon mal gehört›, sagte August.» Es gibt schöne Stellen in diesem Roman. – Zwölf sei ein gutes Alter, sagt der Vater, als der Hund zwölfjährig stirbt und der Umzug seiner Frau beschlossen ist. Erst wesentlich später erkennt August, dass der Vater nicht den Hund gemeinte, sondern, es sei die richtige Zeit, um den ersten Trennungsschmerz zu erleben. Und es gestaltet sich für August schwierig an der neuen Schule Freunde zu finden; zu fest sind die Banden der alteingesessenen Jungen. Er wird stets eine Randfigur bleiben, der Ersatzmann. August spielt Football, um dazuzugehören, nicht, weil er Spaß an der Sache hat. Sich zu prügeln gehört irgendwie dazu. Was tut man nicht alles, um anderen zu gefallen – das ist so wie mit Katzen töten. Als die Jungenclique nach einer Party im besoffenen Kopf als Gruppe ein ebenso besoffenes Mädchen vergewaltigen – steht August am Rand, schaut zu und läuft weg. Der Freund des Mädchens haut allen Beteiligten später eins auf die Nuss. Und gut ist. Niemand kümmert sich darum, wie es dem Mädchen geht. Gewalt – der Roman spielt in der Bush-Ära, 9/11; man versucht, an der Highschool Soldaten zu akquirieren, lockt mit netten Filmchen, mit Stipendien nach dem Militärdienst. Ein Studium sollen doch bitte nicht die Eltern von ihrem kargen Lohn finanzieren! August hat viel von seiner Mutter gelernt, die so anders ist, als all die Farmer, die liest, sich politisch interessiert. Er fällt nicht auf die Werber herein. Und der erste aus der Clique, der nach Afghanistan geht, wird auch gleich von der einer Bombe zerstückelt. «Das Gewehr knallte und Tim schnalzte mit der Zunge. ‹Erwischt›, sagte er. ‹Guck mal. Ich fand das als Kind immer richtig eklig.› August hielt sich die Hand über die Augen. Er konnte gerade so ein totes Erdhörnchen ausmachen und ein lebendiges, das irgendwas mit dem Kadaver anstellte. ... In der Vergrößerung erkannte er, dass das lebende Tier sich durch das Loch fraß, das die .22er-Kugel durch den Bauch des toten gerissen hatte. ... ‹... und das zweite frisst seinem Kumpel die unverdauten Sachen aus dem Magen. Der Überlebenstrieb aufs Schönste demonstriert.› ... senkte sich in Schusshaltung und suchte das Feld ab, bis er sein Ziel hatte. ‹Hoffe die Henkersmahlzeit war lecker, Kleiner.» Nach der Highschool möchte August zum Leidwesen seiner Mutter nicht studieren. Aber er nimmt auch nicht das Angebot seines Vaters an, ihm auf der Farm zu helfen, obwohl er sich anderweitig als Ranchhelfer bewirbt. Er liebt Montana, Fleischrinder, die Milchkühe liegen ihm nicht. Auf der abgelegenen Virostok-Ranch von Ancient bezieht er ein karges Zimmer mit Stockbett, Schrank, Tisch und Stuhl, eine Kochplatte mit zwei Platten, Kühlschrank; TV- und Internetanschluss gibt es hier nicht. Die Arbeit ist hart, und Ancient lässt gern August den größten Teil. Einsamkeit beherrscht das Feld; Cornflakes, Sandwiches, chinesische Nudelsuppe aus dem Plastikbecher und andere einfache Fastfood gehören zu seiner Ernährung. Manchmal fährt er in die Kleinstadt, um einen Burger zu essen. Eine Männerwelt mit Fastfood, Fleisch, Budweiser, versifften Buden; die Frauen sind fast alle abgehauen, auch die Freundin von Ancient hält es nicht bei ihm aus. Frauen sind Mangelware in der Welt zwischen abgeschiedenen Farmern, Verschwörungstheoretikern, die nichts anderes kennen als Arbeit und Saufen; Ereignislosigkeit, prägt die Gesellschaft. Abwechselung bieten jagen, fischen, prügeln und auch mal ein Tanz. Alte Fehden zwischen Männern laufen weiter, von Söhnen erwartet man die Übernahme des Gesamtpakets. Für die Jugend bleibt neben der Arbeit: abhängen, rauchen, Bier saufen, Burger essen, durch die Gegend fahren. Trostlosigkeit pur. «Eine Frau ist irgendwann dein ausgelagertes Gewissen und deshalb musst du gucken, dass du dir die Richtige aussuchst, sonst bist du ein Schiff ohne Ruder. Vielleicht liegt das Beste am Mann in den Vorstellungen, die seine Frau von ihm hat, was er sein und was er tun könnte, wenn sie ihn nur dazu bringt. Eine gute Frau ist auf Erden vielleicht die einzige Hoffnung auf Rettung für den Mann.» Callan Wink, inszeniert Ereignislosigkeit in diesem Roman, eine Story, die wie Lava langsam den Weg nach unten sucht, sich von nichts abhalten lässt – der Leser aber wünscht sich ein kleines Erdbeben oder wenigstens einen Wind. August telefoniert hin und wieder mit dem Vater und sie reden sie übers Wetter – immer wieder. August versucht, Konflikten aus dem Weg zu gehen, dazu ist er phlegmatisch und trottet den anderen hinterher, steht plötzlich mittendrin. Und immer wenn der Leser meint, nun nimmt die Story endlich Fahrt auf, bremst sie sich gleich wieder aus. Leider bleiben alle Figuren genauso farblos wie die gesamte Geschichte. Was geht in August vor, was denkt er. Wahrscheinlich nichts – er lässt sich treiben wie ein Kahn bei Flaute, irgendeine Strömung wird ihn irgendwo hintragen. Ja, es gibt gute Stellen in dem Roman, aber insgesamt hat er mich gelangweilt – nicht mal die Naturbeschreibungen konnten mich überzeugen. Ein Coming-of-Age, ein Bildungsroman über die Gesellschaft der ländlichen USA im Norden. Callan Wink, geboren 1984, arbeitetseit seinem neunzehnten Lebensjahr als Fly Fishing Guide auf dem Yellowstone River in Montana. Seine unverlangt eingesandte Erzählung Hund Lauf Mond wurde im New Yorker abgedruckt und machte ihn schlagartig bekannt. Der letzte beste Ort, sein Erzählungsband und internationales Debüt, erschien 2016.

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