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«Wenn ich verhaftet werde, ist das der Beweis, dass die Behörden lieber mich ins Gefängnis stecken, als die Kriegsverbrecher, die in Deutschland frei herumlaufen, an die Justiz auszuliefern.» In der Nachkriegszeit wollte man uns Kindern und Jugendlichen in der Schule weismachen, dass alle Täter, die etwas mit dem Holocaust zu tun hatten, in der Nürnberger Prozessen verurteilt wurden. Ich hatte sogar einen Geschichtslehrer, der den Holocaust verleugnete (was wir ihm übel nahmen) – aber später hatte ich einen Lehrer (er hieß auch noch passend Heinrich Heine), der uns erklärte, wer alles mit blutiger Nazivergangenheit in Deutschland etwas zu sagen hatte, wer entkommen konnte. Man nehme nur Adenauers Kanzleramtschef Hans Globke, parteitreuer Verwaltungsjurist und Mitverfasser der berüchtigten Nürnberger Rassegesetze des NS-Regimes. Aber das war nur ein Bruchteil von dem, was später alles herauskam. Heute wissen wir, dass der BND und die Amerikaner vielen die Flucht über die sogenannten Rattenwege ermöglicht hatten – u. a. Klaus Barbie. Und von diesem Lehrer hörte ich das erste Mal etwas über die Klarsfelds. Ich habe das Ehepaar sehr bewundert und ihre Arbeit weiter verfolgt. «Nazi!» Mit diesem Ruf stürmt Beate Klarsfeld am 7. November 1968 auf dem Bundesparteitag der CDU den Vorstandstisch und ohrfeigt den Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, der zur Wiederwahl als Kandidat nominiert wurde. Sie hatte sich mit einem Presseausweis hineingeschummelt. Ihr Mann Serge ist Jude, er hat mit Mutter und Schwester den Holocaust überlebt, weil sein Vater sich für die Familie opferte, das Versteck nicht verriet, in Auschwitz später ermordet wurde. Kiesinger war 1933 in die NSDAP eingetreten und hatte während des Zweiten Weltkriegs in der Rundfunkpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes gearbeitet, dort einen hohen Posten im Propagandaapparat der Partei inne. Es war für die Klarsfelds unerträglich, dass solch ein Mann Bundeskanzler werden konnte! Mit der Ohrfeige wollte Klarsfeld die bundesdeutsche Gesellschaft auf die NS-Vergangenheit Kiesingers aufmerksam machen. Die war der Startschuss für die Lebensaufgabe von Beate Klarsfeld und ihrem Mann Serge, man nannte sie die Nazijäger. Sie versuchten die, die entkommen waren, aufzuspüren. Überlebende Zeugen mussten gefunden werden, sie dokumentierten deren Aussagen, ließen Fotografien analysieren, bearbeiteten Staatsanwälte. In der Bundesrepublik konnten damals Menschen wie Herbert Hagen, der als SS-Mann beim Sicherheitsdienst Vorgesetzter von Eichmann war, oder Kurt Lischka, der während der deutschen Besatzung die Sicherheitspolizei in Paris befehligte, bis in die 1970er-Jahre offen leben. Likschka spürten die Klarsfelds schlicht über das Telefonbuch auf, er lebte als Getreidehändler als angesehener, wohlsituierter Bürger in Köln. 1971 versuchten die Klarsfelds den einstigen SS-Mann aus Köln nach Frankreich zu entführen; denn dort würde man ihm den Prozess machen. Strategisch brauchten sie eine offene Bühne, inszenierten spektakuläre Aktionen, um die Presse aufmerksam zu machen, um öffentlichen Druck auszuüben. Großen Raum nimmt die Jagd auf Klaus Barbie, den «Schlächter von Lyon», denn das war Klarsfelds größter Erfolg. Der frühere Lyoner Gestapo-Chef leitete eine Sektion des SD und war berüchtigt für seine außerordentliche Brutalität. Anfang der 1970er-Jahre spürte das Paar Barbie in Bolivien unter einem Tarnnamen auf. Helmut Kohl hatte eine Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland verhindert, er hatte keinen Sinn dafür Kriegsverbrechen aufzuklären. Der Versuch, ihn zu entführen scheiterte; aber sie blieben dran und 1983 wurde Barbie nach Frankreich ausgeliefert, 1987 zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Graphic Novel geht nicht chronologisch vor, sondern geht auch in die Vergangenheit der Protagonisten zurück, wobei die verschiedenen Zeitebenen unterschiedlich farbig gestaltet sind, Historisches in Grautönen – allesdings mit roten Nazibinden. Der Comic zeigt auch, wie das Paar für ihre Nazi-Jagd immer wieder Drohungen ausgesetzt war. 1972 explodierte ihr Auto. Sie bekamen Morddrohungen, Personenschutz, ein gefährliches Paket mit 500 Gramm Dynamit und 300 Gramm Tapeziernägel wurde glücklicherweise ungeöffnet der Polizei übergeben. Deses Ehepaar war mutig, unnachgiebig und immens ausdauernd. Nie gaben sie auf! Dieser historische toff wird sehr spannend erzählt, die Klarsfels hatten mit enormen Widerständen und Rückschlägen zu kämpfen. Sylvain Dorange arbeitet bei seinen Illustrationen viel mit der Perspektive, Zoom und Weitwinkel, gibt dem Ganzen einen cineastischen Touch. In erdigen Farben zeigen den Retrostil. Sehr genau wurde auf die korrekte Darstellung der Zeit geachtet, Accessoires, Autos, Technik, Mode. Ein Comic gegen das Nichtvergessen – eine Aufarbeitung der Nachkriegszeit, in der viel versucht wurde, unter den Teppich zu kehren. Menschen, die sich dem widersetzten, aufdecken wollten, gerieten schnell ins Abseits. Auch das dürfen wir heute nicht vergessen! Eine Spannende historische Graphic Novel, die sich dieses Themas annimmt.