Profilbild von sabinescholl

sabinescholl

Posted on 28.10.2021

„Dies alles habe ich vielleicht nur in der Absicht niedergeschrieben, um für eine Zeit zurückzufinden in das andere Haus und in das einzige Alter, in dem man es besichtigen kann.“ Die 1960 im rumänischen Brasov geborene Ioana Parvulescu erinnert sich im Roman „Wo die Hunde in drei Sprachen bellen“ an ihr Aufwachsen im Haus der Großfamilie, welches viele Geschichten birgt und eine Festung des Privaten gegen die wechselvollen Ereignisse während der kommunistischen Diktatur darstellt. Nur im Paradies der Kindheit lässt sich Unschuld bewahren oder zumindest behaupten. Erzähltechnisch gelingt dies, indem Erzählerin Ana einem jüngeren Kind von „damals“ berichtet und sich vor allem auf Wundersames und Lustiges konzentriert. Die Wahrnehmung der politischen Verhältnisse bleibt den „Großen“ vorbehalten. Der anhaltende Erfolg des im Original 2016 unter dem treffenden Titel „Unschuldige“ veröffentlichten Romans in Rumänien ist möglicherweise einem Bedürfnis nach Versöhnung mit belasteter Geschichte geschuldet. Niemand möchte sich als Nachkomme eines unmenschlichen Regimes mit eventuell verdächtigen Familienmitgliedern fühlen. Anstatt vergangene Untaten offenzulegen, werden nostalgische Gefühle aufgerufen. In einem Gespräch erwähnt die Autorin, dass sie eine „unbewusste Geschichtserfahrung“ festhalten wollte. Die Auswirkungen des Ceausescu-Regimes werden also bloß angedeutet. Wichtiges Stilmittel dabei bildet die Umschreibung. Das Ausreiseverbot etwa wird mit einer verschlossenen Schublade im Elternhaus verglichen. Mangelwirtschaft klingt in einem Kapitel über kindliche Experimente an: „In den Jahren danach, als es keine Zitronen mehr gab…“ Warum erfährt man nicht. Vieles bleibt Geheimnis, wenig wird erklärt. Die Rationierung von Gemüse, Brot, Milch, Zucker ist mit keinem Wort erwähnt. Über die Deportation der Siebenbürger Sachsen nach der Kapitulation der Deutschen im 2. Weltkrieg in sowjetische Arbeitslager heißt es: „Von Sibirien hatten wir auch gehört“. Kindliche Metaphern legen nahe, dass Rumänien wie eine Prinzessin in Gefangenschaft des bösen Drachen namens Sowjetunion und damit des Kommunismus geraten war. Eigenartig mutet diese Haltung deshalb an, da zwar Kindergedanken einem später geborenen Kind mitgeteilt werden, diese Nacherzählung aber zu einer Zeit weit nach 1989 niedergeschrieben wurde. Auf der Folie unserer Kenntnis der Lebenswelten Siebenbürgens, von denen wir durch herausragende Autorinnen, wie Herta Müller, Oskar Pastior, Eginald Schlattner oder kürzlich Ursula Akrill und Iris Wolff erfahren konnten, mutet Parvulescus Darstellung ziemlich verträumt an. Wer als nicht-rumänischer Leser wenig über Repression, die ständige Präsenz der Geheimpolizei, gegenseitige Bespitzelung sogar innerhalb von Familien, besonders gegenüber Siebenbürger Sachsen, weiß, wird die sanften Anspielungen kaum einordnen können. Als Lektüreerfahrung bleiben daher vorwiegend Idyllen, Anekdoten voller Fantasie, Spiel, Witz, sowie Beschreibungen von Lokalitäten, an denen sich die Erinnerung festhalten kann, ohne Schmerz zu empfinden. Vielleicht verhält es sich mit diesem Roman folgendermaßen: Die rumänische Autorin beschwört mit fiktionalen Mitteln die Unschuld der Nachgeborenen. Ihr sächsischer Übersetzer Georg Aescht hingegen, ein wichtiger Vermittler rumänischer Literatur, der mittlerweile über 40 Bücher ins Deutsche übertragen hat, wirkt weiter in drei Sprachen, aber nicht mehr in Siebenbürgen, sondern in einem fiktiven Rahmen und Raum. Ioana Parvulescu: Wo Hunde in drei Sprachen bellen. Roman. Zsolnay-Verlag 2021

zurück nach oben