Mike Gorden
Daß dieser Schriftsteller etwas von seinem Fach versteht, hat er schon als junger Mann unter Beweis gestellt; ebenso, daß er mit komplexen Stoffen umgehen kann. Nach dem Fantasy Epos »Eragon« schreibt er diesmal Science Fiction und er beherrscht auch dieses Genre gut. Wie gewohnt ist auch »Infinitum« sehr umfangreich geraten. Zugang zur Handlung bekommt man beim Lesen schnell, denn sie ist temporeich und spannend angelegt. Zugang zu den Figuren und vor allem zu den Zusammenhängen, die die Handlung vorantreiben, habe ich dagegen erst spät erhalten. Die Liebesgeschichte am Anfang erscheint beispielsweise flach und ist zu Ende, ehe sie sich entwickeln und ins Herz dringen kann. Deshalb habe ich das Buch zwischendurch auch mehrfach für längere Zeit beiseite gelegt, weil mir andere Dinge wichtiger waren. Das liegt auch an einem weiteren Punkt, an dem ich persönlich etwas auszusetzen habe. Die Handlung ist über lange Strecken brutal bis abstoßend. Weltraumschlachten wechseln mit detailreich beschriebenen Nahkampfszenen ab. Teilweise wähnt man sich in einem Splatter. Das ist nichts für mich, obwohl die Zielgruppe sicher groß ist, weil… aber dazu komme ich später. In einem originellen Nachwort schreibt der Autor des Buches auch über die Schwierigkeiten, sich ein fremdes Universum auszudenken, in dem Überlichtraumfahrt möglich ist, dessen physikalische Gesetze aber dennoch plausibel bleiben. Die Welt, die er so aufbaut, hat mich letztlich in ihren Bann gezogen und mir einige durchgegrübelte Nächte beschert. In der Geschichte gehalten haben mich auch die humorvollen Akzente und Zitate, die von Zeit zu Zeit auftauchen. Die skurrile Crew der 'Wallfish' inklusive Schiffsgehirn könnte einer Geschichte von Douglas Adams entsprungen sein, ist aber dennoch ganz eigen und bietet allein für sich genügend Potential für Fortsetzungen oder Prequels. Die - ebenso naheliegende wie falsche - Vorstellung, daß fremde Spezies so aussehen müssen wie Menschen und so denken müssen wie Menschen, läßt Paolini hier links liegen und das bekommt der Geschichte gut. Man erhält bis zum Schluß keinen wirklichen Zugang zu der Gedankenwelt der Wranaui, die von den Menschen verächtlich 'Jellys' genannt werden. Menschen und Außerirdische treffen auf Hinterlassenschaften einer uralten Rasse, die diese mit dem Ziel versteckt hat, nachfolgenden Zivilisationen etwas Gutes zu tun. Da wir Menschen so sind, wie wir sind - unflexibel, einfallslos, stur, bürokratisch - und auch die andere Spezies die gute Absicht dahinter nicht begreift, wird die lebenspendende Gabe mißbraucht und zu einer schrecklichen Waffe pervertiert. Natürlich kommt es daraufhin zum Krieg. Was sonst? Die Heldin der Geschichte, Kira, die die 'Idealis' eher zufällig entdeckt, wird von ihr assimiliert und muß den Rest der Geschichte als hybrides Wesen verbringen. Erst sehr spät erkennt sie, was sie da wirklich gefunden hat und… ich will nicht spoilern. Insgesamt ist »Infinitum« eine spannende und vielschichtige Fabel über das Leben in einer möglichen Zukunft. Ich habe sie unterm Strich gern gelesen und erhoffe mir eine Fortsetzung (siehe oben). Paolini schreibt in seinem Nachwort über die lange Zeit, die er den Stoff für diese Geschichte in sich trug und über die verschiedenen Formen, die er ihm zwischenzeitlich gegeben hat. Aus diesen Prozeß sind zwei Handlungsstränge übriggeblieben, deren Weglassen dem Roman meiner Meinung nach nicht geschadet hätte. Die 'Sucher' kommen aus dem Off, erweisen sich als gefährlicher und undurchsichtiger Gegner, und verschwinden dann wieder im Off. Auch die 'Nachtmahre'… nun ja, wer Splatter mag, wird sie lieben und in der sicher folgenden Verfilmung werden sie toll rüberkommen. Ich persönlich halte sie für entbehrlich. Gut gefallen haben mir die ungewöhnlich aber meisterhaft strukturierten Formatierungen für gesprochene Sprache, Gedanken, Träume und die ungewöhnliche Art der Verständigung, die mit den Wranaui möglich ist, einer Mischung aus Sprache, Gedanken und Gerüchen. Sie machen die Kommunikation - sofern sie denn stattfindet - besonders anschaulich! Mir gefällt auch die Idee, daß es einen tragfähigen Frieden auf der Basis gemeinsamer Interessen geben kann, obwohl die Menschen am Schluß der Geschichte immer noch nicht mit den Wranaui auf einer Ebene kommunizieren können, es vermutlich nie schaffen werden. Ich habe lange überlegt, ob ich für das, was ich an der Geschichte auszusetzen habe, Sterne abziehen soll. Schließlich habe ich es gelassen. Paolini schreibt zu Recht, daß es sich um die derzeit bestmögliche Form dieses Romans handelt und ich sehe, wie viel Arbeit und Liebe zu auch kleinsten Details darin steckt. Das ist es, was zählt. Bitte mehr davon!