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Wordworld

Posted on 24.10.2021

Mit "LIFEL1K3 - Das Babel Projekt" habe ich heute Morgen mein allererstes Buch von Jay Kristoff beendet und frage mich seitdem, weshalb ich mich nicht schon viel früher an seine Werke gewagt habe. In dieser brandneuen Young-Adult-Dystopie erzählt der Bestsellerautor ein hochspannendes Actionabenteuer und nimmt mit in eine verseuchte Wüstenlandschaft voll Schrott, Dreck, Tod und Wunder. "So viel Kummer. So viele Verluste. Alle Wundern klafften wieder auf und fingen wieder an zu bluten. Der Junge, der überhaupt kein Junge war, hielt sie einfach fast, so wie sie es mit ihm getan hatte. In einem wunderschönen Garten. In einem verlorenen Paradies." Im Mittelpunkt des Covers und der Geschichte stehen die "Lifelikes" - starke, schnelle und schöne Androiden, die trotz ihrer verbesserten Fähigkeiten so lebensähnlich sind, dass sie auf den ersten Blick nicht von Menschen zu unterscheiden sind. Sie denken wie Menschen, sie lieben wie Menschen und sie hassen wie Menschen - was unterscheidet sie also von uns? Im Anklang an diese zentrale Frage ist auch die hintere Hälfte des Titels halb aufgelöst abgebildet, sodass aus "Lifelike" nur "Life" zu werden scheint. Neben dem prominenten Titel in Weiß ist im Hintergrund ein strahlend himmelblauer, an ein Auge erinnernder Kreis voller Mechanik zu sehen, welcher sich vom ansonsten dunkelroten Grund abhebt. Ebenfalls positiv an der Gestaltung hervorzuheben ist die Karte, welche in den beiden Innenseiten der Buchdeckel vorne und hinten abgebildet ist. Jene gibt einen Überblick über die einzelnen Standorte der Handlung und ist zusammen mit den vorangestellten drei Robotergesetzen und der Definitionen von Automata, Maschina und Logika sehr hilfreich beim Verstehen des Buches. "Verunreinigt. Unnatürlich. Noch mehr Beleidigungen, die zu solchen wie abartig oder abnorm hinzukamen. Eine weitere Gruppe von Leuten, die sie nicht leiden konnten. Sie fragte ich, ob es auf der Welt wohl irgendjemanden gab, der sie einfach so akzeptierte, wie sie war. Ob es einen Ort gab, an den sie passte." Denn Jay Kristoff hält sich nicht lange mit Erklärungen auf, sondern wirft uns direkt kopfüber in die Geschichte. Nach einem tragischen Prolog beginnt ohne große Umschweife direkt der erste von insgesamt vier recht gleichlangen Teilen, in denen der Autor seine zusammengewürfelte Gruppe ohne Verschnaufpause durch eine erbarmungslose, postapokalyptische Welt jagt. Tödliche Roboterkämpfe in der Kampfkuppel, Überlebenskampf im Maschinenschrott, blutrünstige Bruderschaften, lebendige Krakenschiffe, kybernetische Kopfgeldjäger und verstrahlte Glasstürme sind nur einige der Bedrohungen, die unsere Figuren während der 465 Seiten auf Trab halten. Wir rennen zusammen mit Eve, Lemon, Ezekiel, Cricket und Kaiser von einem Desaster in das nächste und müssen nebenher auch noch geheimnisvolle Kräfte, alte Geheimnisse, neue Liebe und eine ordentliche Identitätskrise verdauen. Die Geschichte gleicht also einem einzigen Rausch aus Adrenalin, Action, Emotionen und Überraschungen von Anfang bis Ende. "Eure Narben erinnern euch daran, wer ihr seid. Eure Haut ist die Seite und eure Wundern sin die Tinte, die eure Lebensgeschichte erzählt. Deine Narben machen dich erst schön. Abartigkeit, oder wie du es sonst nennen willst, das ist doch bloß ein anderes Wort dafür. Du nennst es abnormal. Ich nenne es unglaublich." Unterbrochen wird diese hochspannende Reise durch eine dystopische Variante Kaliforniens immer wieder durch Rückblicke auf ein Massaker vor zwei Jahren, in dem Eves gesamte Familie gestorben ist. Zusammen mit Eves zunehmendem Wissen über ihre eigene Vergangenheit steigt auch die Spannung an und die offenen Fragen nehmen mit jeder Offenbarung zu. Was ist in Babel tatsächlich passiert? Was hat das Lifelike-Projekt mit Eve zu tun? Wem kann sie überhaupt vertrauen? Wer ist sie vor ihrer Verletzung gewesen, die ihr ihre Erinnerungen genommen haben? Wie sehr will sie sich durch ihre Vergangenheit bestimmen lassen? Und wer will sie sein? Jay Kristoff nimmt sich für Eves Identitätskonflikt trotz des hohen Erzähltempos viel Zeit und nutzt die vielen ungeklärten Fragen und Rätsel als Nährboden für eine ganze Armee aus Twists. In "Lifelike" gibt es Wendungen zu Beginn, im Mittelteil und am Ende; Wendungen, die man kommen sieht und welche, die man sich nicht in seinen Träumen hätte ausmalen können; Wendungen, die mich freudig lächeln haben lassen und welche, die mein Herz gebrochen haben; Wendungen, die klein beginnen und dann die gesamte Geschichte herumdrehen und Wendungen, die groß wirken und im Nichts verpuffen. Kurzum: ich habe noch niemals eine Young Adult Dystopie gelesen, in welcher schon im Auftaktband so eine unfassbar große Vielfalt an Plottwists vorhanden war, sodass ich bald keiner Aussage mehr um die Ecke getraut habe. "Sie spürte die beiden Menschen jetzt wieder in ihrem Kopf. Das Mädchen, das sie gewesen war, und das Mädchen, zu dem sie geworden war. Und sie wusste nicht, ob sie beim Anblick des Turms, des Ortes, an dem das eine Mädchen gestorben und das andere geboren worden war, Trauer oder Erleichterung empfinden sollte." Auch das Worldbuilding rund um dieses komplexe Handlungskonstrukt ist wirklich erste Sahne. Zwar erfindet Jay Kristoff hier das Rad nicht komplett neu, dafür mischt er in seiner neuen Trilogie ein episches Reise-Abenteuer, eine Roboterrebellion, mutantische Magie, verbotene Liebe, Endzeitstimmung und die Mensch-vs.-Maschinen-Thematik so zusammen, dass ein Mix entsteht, dem man nicht widerstehen kann. Neben verschiedenen Arten von Robotern wie Machina, Automata und Logika, bevölkern Cyborgs, Mutanten und künstliche Lebewesen das vom Krieg und Umweltkatastrophen zerstörte Kalifornien. Die Linie zwischen Mensch und Maschine wird dabei wie in vielen Dystopien absichtlich aufgeweicht und verwischt. Das geschieht nicht nur durch die Existenz der Lifelikes, sondern auch dadurch, dass Maschinen Gefühle zugestanden werden, zu liebenswerten Protagonisten werden und beginnen, für ihre eigene Freiheit zu kämpfen. Das staubige, lebensfeindliche Wüstensetting voll Technologie und Abfall verströmt definitiv "Mad Max"- und "Bladerunner"-Vibes und ist geprägt von verschiedenen Gegensätzen. Wir sehen, wie sich Fortschritt in den Trümmern einer alten Zivilisation erhebt, wie sich Großkonzerne um die Macht bekriegen, während in den Gassen Menschen neben Maschinen ums Überleben kämpfen und eine Bruderschaft Mutanten jagt, die sich mit besonderen Fähigkeiten aus dem Dreck zu erheben wagen. "Die Farmfabriken, die Megopolis ernähren, sind mit Automata und Logika bevölkert, nicht von Menschen. Die Soldaten, die eure Kriege führen, die Gladiatoren, die in euren KampfKuppeln bluten und sterben, sie sind alle aus Eisen und Stahl, nicht aus Fleisch und Blut. Schau dich vor dieser Tür da draußen um, und du siehst eine Welt, die auf metallenem Rücken errichtet wurde. Die von metallenen Händen zusammengehalten wird. Und eines Tages werden sich diese metallenen Händen schließen. Zu Fäusten." Lebendig wird diese eigentlich unmögliche Mischung durch den brachialen, aber trotzdem detailversessenen Schreibstil von Jay Kristoff, welcher ab und zu ein wenig über das Ziel hinausschießt (zum Beispiel bei der Beschreibung von Farbe, Konsistenz und Geruch verschiedener Sorten von Schleim im Magen eines Seeungeheuers), aber wahnsinnig unter die Haut geht. Auch wenn der Autor wie gesagt ein ordentliches Tempo verlegt, behält er dabei den Fokus auf die Figuren bei. Anstatt sich auf eine Erzählperspektive festzulegen, wählt der Autor hier einen personalen Er-Erzähler, welcher zwischen den Hauptfiguren und auch einigen Nebenfiguren wechselt, dabei aber am längsten bei Eve verweilt. Sie ist jedoch lange nicht die einzige spannende Figur. Jeder der Charaktere ist auf seine Art und Weise ein Ausgestoßener und bringt um einiges mehr mit, als man das auf den ersten Blick erwartet. Neben der großen Frage nach der Maschinen-Ethik und was Freundschaft, Loyalität und auch Liebe im Kontext der drei Maschinen-Gesetze bedeuten, müssen die drei Hauptfiguren Eve, Ezekiel und Lemon jeweils noch ihre eigenen Dämonen bekämpfen. Auch die Dynamik der drei, welche von Humor, aber auch von tiefer Liebe in unterschiedlichen Formen geprägt ist, ist wirklich wundervoll. Ein Beinahe-Junge mit mechanischem Herzen, ein Mädchen mit zu vielen Namen und einer ungewissen Zukunft und ein Mädchen ohne Namen mit unbekannter Vergangenheit? Die drei bilden ein absolutes Dreamteam, welches durch den süßen Logika Cricket und den Blitzhund Kaiser gelungen ergänzt werden. Besonders Cricket habe ich sofort ins Herz geschlossen und werde loyal gegen jeden in den Krieg ziehen, der ihn klein nennt. "Ich bin so, wie mein Schöpfer mich gewollt hat", erwiderte Cricket. "Und nenn mich nicht klein!" Etwas schade fand ich, dass die Bösewichte wie der "Prediger" oder die anderen Lifelikes in Babel hier leider ein wenig schwarz-weiß bleiben. Angesichts der ansonsten ausgezeichneten Charakterstudie hätte ich an dieser Front ein bisschen mehr erwartet und hoffe, dass gerade die Lifelikes in Band 2 ein bisschen besser profiliert werden. Auch die Liebesgeschichte bleibt eher im Hintergrund, was gut zur actionbasierten, temporeichen Geschichte passt. Mir gefällt auch, dass die Figuren ihre Gefühle hier immer wieder hinterfragen und mit jeder neuen Enthüllung in Relation setzen. Etwas mehr Tiefe und weniger glitzernde Instant-Love hätten mir aber trotzdem ganz gut gefallen, da mich die Liebe der beiden emotional nicht wirklich abgeholt hat. Mehr berührt hat mich da schon eher die Freundschaft zwischen Lemon und Eve, auf deren weitere Entwicklung ich ebenfalls sehr gespannt bin. "Zusammen stark", flüsterte Lemon. "Auf ewig zusammen", erwiderte Eve." Was ich von dem unfassbar fiesen Cliffhanger halten soll, der zwar die direkte Handlung abschließt, dabei aber zwischen den Zeilen so viel offenlässt und zerstört, dass man unmöglich lange auf den Folgeband warten kann, weiß ich noch nicht so genau. Ganz klar ist nach diesem Buch jedoch: ich muss UNBEDINGT mehr von Jay Kristoff lesen. In erster Linie natürlich die beiden Folgebände, auf die ich wahrscheinlich noch eeeeeeewig warten muss. Seine "Nevernight"-Saga und die "Illuminae-Akten" stehen bei mir jetzt aber auch ganz oben auf der Liste! Fazit: Mit dieser brandneuen Young-Adult-Dystopie erzählt der Bestsellerautor ein hochspannendes Actionabenteuer und nimmt mit in eine verseuchte Wüstenlandschaft voll Schrott, Dreck, Tod und Wunder. "LIFEL1K3 - Das Babel Projekt" überzeugt mit komplexem Worldbuilding, vielschichtigen Figuren und vielen Wendungen. Einen halben Stern Abzug gibt es für die blassen Antagonisten und die wenig elaborierte Liebesgeschichte.

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