julemaus94
Auf Spurensuche 2016 erregten neue Spuren im Falle der 1970 gefundenen sogenannten Isdal-Frau die Aufmerksamkeit der deutschen Medien. Die Wurzeln der unbekannten Frauenleiche konnten mithilfe neuer Untersuchungsmethoden bis nach Deutschland zurückverfolgt werden. Anja Jonuleit nimmt sich nun in ihrem neuen Roman diesem ungelösten Fall an und bietet dem Leser eine auf den wahren Fakten beruhende, fiktive Lösung an. Eva, die mit dem Verfassen von Biografien ihren Lebensunterhalt verdient, entdeckt eines Tages in der Zeitung ein Phantombild, das ihr verblüffend ähnlich sieht, die Isdal-Frau. Schnell stellt sich heraus, dass es sich bei der Unbekannten um ihre verloren geglaubte Tante handelt und sie bricht auf nach Norwegen, um ihrer Geschichte auf den Grund zu gehen. Dies ist mein erstes Buch von Frau Jonuleit und ich bin stark beeindruckt, mit welcher Sorgfalt hier Fakten mit Fiktion verknüpft und zu einer spannenden, aufschlussreichen Story verwoben werden; schnell verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie, ohne dass die Geschichte unglaubwürdig wirkt. Da der Erzählstil recht autobiografisch und emotionslos gehalten ist, fällt es mir anfangs recht schwer eine Verbindung zu den Figuren aufzubauen. Die aus Sicht von Eva geschilderten Ermittlungen liefern viele Fakten, anhand derer der Fall langsam "von hinten" aufgedröselt wird. Mit Eva kann ich wenig anfangen, ebenso mit den in ihrer Zeitschiene agierenden Figuren. Alle bleiben recht blass, der Fokus liegt klar auf den Daten und Erinnerungen, die nach und nach zu Tage gefördert werden. Ganz anders erscheint mir da der zweite Erzählstrang, in dem die junge Marguerite dabei begleitet wird, wie sie sich auf die Suche nach ihrer verloren gegangenen Familie begibt und dabei quer durch Europa reist, bevor ihr Schicksal sie ins kalte Isdal bei Bergen führt. Nach und nach fiebert man immer mehr mit dieser einsamen Frau mit, spürt ihre Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Liebe. Umso tragischer ist es, ihre Suche mitzuerleben, da man ja weiß, wie diese enden wird. Während die Frauenfiguren hier als starke, selbstbestimmte Persönlichkeiten auftreten, geben die Männer dieser Geschichte ein umso schlechteres Bild ab. Stellenweise werden hier recht typische Klischees ausgewälzt, das hätte nicht unbedingt sein müssen. Andererseits betont es natürlich den Kontrast und hebt die Stärke Marguerites umso deutlicher hervor. Alles in allem ist "Das letzte Bild" ein klug konstruierter Roman, der einer jungen Unbekannten eine wohlverdiente, wenn auch fiktive Identität verleiht und dem Leser gleichzeitig Aufklärung und ein Stück historisches Erbe näherbringt, über das für meinen Geschmack bisher viel zu sehr geschwiegen wurde.