naraya
Kiều ist 30 und in Deutschland geboren. Sie selbst hat irgendwann begonnen, sich Kim zu nennen, denn wenn sie ehrlich zu sich ist, weiß sie gar nicht, wie ihr Name eigentlich ausgesprochen wird. Dann erreicht die Familie die Nachricht vom Tod der Großmutter, die in die USA ausgewandert ist. Gemeinsam mit ihren Eltern macht Kiều sich zur Testamentseröffnung nach Kalifornien und in ein ganz anderes Lebensgefühl auf. Dort muss sie sich nicht nur mit ihrer Familiengeschichte befassen, sondern auch Entscheidungen für sich und ihre weitere Zukunft treffen. In ihrem Debütroman erzählt die Autorin Khuê Phạm die Geschichte einer vietnamesischen Familie über mehrere Jahrzehnte hinweg. Die Protagonistin und Ich-Erzählerin ist Kiều, ihr Handlungsstrang liegt in der Gegenwart, während Bruchstücke aus der Vergangenheit ihres Vaters Minh und ihres Onkels Sơn in der Er-Form und dem Präteritum eingefügt sind. Während Minh Vietnam schon 1968 zum Medizinstudium verließ und vom Grauen des Vietnamkriegs weitestgehend verschont blieb, hat Sơn ein deutlich schwereres Los, bis ihm die Flucht in die USA gelingt – das sorgt für einen lebenslangen Konflikt zwischen den Brüdern und in der gesamten Familie. Khuê Phạm gelingt ein emotionales Porträt einer zerrissenen Familie und eines Lebens zwischen zwei Kulturen. Als sie abreist, ist Kiều ziemlich deutsch. Bisher führte sie nur Beziehungen zu deutschen Männern und Vietnamesisch beherrscht sie kaum. Diese Haltung verändert sich, als sie (ausgerechnet) in den USA zum ersten Mal eine vietnamesische Gemeinschaft erlebt und ihre Familienmitglieder besser kennenlernt. Deren historischer Hintergrund ist bedrückend und erschütternd, dürfte aber für diese Generation nicht untypisch sein. Neben der gefühlsbetonten Familiengeschichte spielen auch Themen wie Politik, Migration, Heimat und Sprache eine Rolle. Mein einziger Kritikpunkt liegt in der Kürze des Romans, die – meiner Meinung nach – nicht ausreicht, um Kiềus Entwicklung glaubwürdig darzustellen. Ihre Entscheidungen am Ende des Buches wirken übereilt und sind schwerlich mit den Ereignissen auf den Seiten zusammenzubringen. Schade!