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TheUjulala

Posted on 5.10.2021

Zeitreise in eine skurrile Sozialsatire der 80er Der Autor Sven Regener ist mir als Name zwar bekannt, aber bisher hatte ich noch nichts von ihm gelesen. Da ich meinen Genre-Horizont wieder etwas erweitern möchte, habe ich mich über die Zusage von Netgalley sehr gefreut und möchte mich dafür beim Kiepenheuer & Witsch Verlag herzlich bedanken. Coverbild Als Cover dient ein farbgewaltiges Bild der Künstlerin und Grafikdesignerin Rike Weiger aus Berlin. Es zeigt in schnellen und kräftigen Pinselstrichen die Fassade des im Roman beschriebenen ehemaligen Friseursalon “Intimfrisur”. Es ist ein eindrucksvolles Bild und spiegelt für mich das verwirrende und skurrile Setup des ganzen Romans wieder. Handlung Die berliner Musikband Glitterschnitter möchte unbedingt auf der Wall City Noise teilnehmen und versucht sich in dem Finden neuer Musikklänge mittels eines Bohrers. Geübt wird im Café Einfall in der Wiener Straße, was nicht unbedingt auf Begeisterung des Besitzers und der Gäste stößt. Um die Initiatorin der Wall City Noise zu überzeugen muss Glitterschnitter einen musikalischen Probelauf im ehemaligen Friseursalon “Intimfrisur” nebenan durchführen. Doch das passt den Besitzern des Ladens nicht, ein Konglomerat aus mehr oder wenigen österreichischen Landsleuten, die zusammen die ArschArt-Galerie führen und selber als Dr. Votz mit lebenden Bildern einen Kunstact auf der Wall City Noise zum Besten geben wollen. Die sehen in der “Intimfriseur” die Chance ihren Wiener Flair aufleben zu lassen und möchten ein Wiener Café eröffnen. Das Ganze spitzt sich zu, als der Künstler und Mitbesetzer H. R. Ledigt die verfeindeten Punks aus dem besetzten Hinterhaus zum Konzert in der Intimfrisur, mit der ArschArt Galerie als Vorband, Glitterschnitter als Hauptakt und H. R. als live Kunstakt, einlädt, um der Initiatorin genügend Publikum bieten zu können. Buchlayout / eBook Die gut 450 Seiten sind in fünf Abschnitte aufgeteilt, in denen sich kurze Abschnitte aus verschiedenen Perspektiven rasch abwechseln, die optisch nur durch ein einfaches * voneinander abgesetzt werden. Ansonsten bleibt das eBook ohne weitere Ausschmückung und sehr simpel. Handlungsaufbau / Spannungsbogen Sven Regener hält sich nicht mit einer langen Einführung auf sondern beginnt direkt im Café Einfall und treibt den Leser Schlag auf Schlag weiter. Es laufen mehrere Handlungsstränge, die durch die kurzen Abschnitte parallel aufgebaut werden, deswegen wird es nie langweilig aber richtig was passieren tut eigentlich auch nichts. Am Ende steuern die einzelnen Stränge auf das Finale zu und die Spannung gipfelt in das Aufeinandertreffen aller Protagonisten und in der damit erwarteten Eskalation. Szenerie / Setting West-Berlin, Kreuzberg, 1980. Die Hausbesetzerszene ist im vollem Gange, die Anarchisten beherrschen das Berliner Stadtbild, Punker gegen Popper, Österreicher gegen Deutscher und Kreuzberg ist der melting pot der Kulturen und sozialen Schichten. Der perfekte Ort für eine skurrile Sozialsatire. Sven Regener lässt geschickt verschiedene Kulturen und Gesellschaften aufeinanderprallen und die Errungenschaften der damaligen Zeit wiederaufleben. IKEA eröffnet 1979 in Berlin-Spandau ihre 7. Filiale in Deutschland und vermittelt mit ihrem neuartigen Möbelkonzept die heile Welt. Der Künstler H. R. ist von der Musterwohnung so begeistert, dass er sie in seinem Zimmer aufbaut. Der Milchkaffee erlebt seinen Einzug in der Berliner Café- und Kneipenkultur. Der Österreicher P. Immel hat ein Haus in Berlin geerbt und versucht verzweifelt mit Kacki, seinem Ottakringer Freund aus Kindertagen, seine wianarischen Wurzeln in Berlin aufrecht zu erhalten. Mir hat der Ausflug in die 80er Jahre und die vielen kleinen Anspielungen gut gefallen. Sprache / Schreibstil Sven Regener sprudelt die Handlung und Gedanken der Protagonisten in ellenlangen Kommatasätzen aufs Papier ohne ausgeklügelter Struktur oder ausgefeilten Satzbau, gespickt mit plumpen Wortspielen wie “P. Immel”, “Dr. Votz” oder “H. R. Ledigt”, die mir einfach zu offensichtlich waren. Am Anfang hatte ich vor allem meine Probleme mit den nie enden wollenden Sätzen, konnte mich aber darauf einlassen. FAZIT Der schnelle Perspektivenwechsel lässt einen flott durch die Geschichte treiben, die ellenlangen Sätze hingegen sind erst mal gewöhnungsbedürftig. Auch wenn ich mit der Zeit in den Lesefluss kam und ich auch vor allem an dem deutsch-österreichischen Konflikt Spaß hatte, war die Geschichte für mich nicht unbedingt ein Highlight. Schön war die Zeitreise in die 80er Jahre.

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