letterrausch
Frau erfindet Schwangerschaft, um sich unliebsame Aufgaben (und ihre Kollegen) vom Hals zu halten – das ist die Ausgangslage von „Frau Shibatas geniale Idee“, dem Erstling der Japanerin Emi Yagi. Was zunächst kurzweilig und unterhaltsam anmutet und viele Optionen für urkomische Szenen bietet, entpuppt sich bald als ein tieftrauriger Roman über eine vereinzelte, vereinsamte, kontakt- und konfliktscheue Frau in den Dreißigern, die ihre eingebildete Schwangerschaft als den ultimativen Befreiungsschlag nutzt, um ihrem bis dato öden, langweiligen und festgefahrenen Leben zu entfliehen. Frau Shibata – Yagis Protagonistin – ist die einzige Frau in ihrer Abteilung. Scheinbar allein aus diesem Grund hat es sich eingebürgert, dass sie das dreckige Geschirr abräumt und abwäscht, den Kühlschrank sauber hält und bei Meetings Kaffee kocht. Eines Tages, scheinbar ganz spontan, hat Frau Shibata genug. Die Zigarettenkippen in den leeren Kaffeetassen widern sie an und um sich endlich von den ungeliebten Putztätigkeiten zu befreien, gibt sie vor schwanger zu sein: Der Geruch von Kaffee und Zigarettenrauch drehe ihr in dieser frühen Phase der Schwangerschaft den Magen um, behauptet sie. „Meine Schwangerschaft hatte plötzlich vor vier Tagen begonnen“, sagt sie in der Rückschau und auch als Leser bekommt man den Eindruck, das Ganze sei eine spontane Schnapsidee. Doch weit gefehlt: Frau Shibata zieht das durch. Zwar fragt sie sich kurzfristig, wie sie einen wachsenden Babybauch nachstellen soll, doch die Vorteile überwiegen. Plötzlich sind nämlich alle zuvorkommend zu ihr, ja geradezu interessiert. Endlich schafft sie es, pünktlich ihren Arbeitsplatz zu verlassen. Sie macht zu Hause Gymnastik, kocht sich echte Mahlzeiten und schafft sich einen Amazon Prime Account an, weil sie jetzt genügend Zeit zum Fernsehen hat. Nie stellt sich Frau Shibata folgende Fragen: Wie komme ich aus dieser Nummer wieder raus? Was, wenn mir jemand auf die Schliche kommt? Stattdessen ist sie voller Überzeugung schwanger, ohne schwanger zu sein. Sie nimmt zu, sie macht Aerobic für Schwangere, sie freundet sich mit Schwangeren an. Schlussendlich geht sie sogar zu Vorsorgeuntersuchungen. Sie spürt, wie das Baby tritt und wächst – ja wirklich! Mir erschien Frau Shibata als eine Frau, die, um aus einer Sackgasse zu entkommen, den unwahrscheinlichsten Ausweg wählt. Und trotzdem führt dieser sie überraschenderweise ans Ziel. Ja, zunächst liest sich ihr Arbeitsumfeld wie ein feministischer Alptraum. Die Männer in ihrer Umgebung sind weder willens noch in der Lage, traditionell weibliche Aufgaben selbst zu erledigen. Sie scheinen von der Sorte zu sein, die lieber verdurstet, als sich den Kaffee selbst zu kochen: „Herr Tanaka starrte den Berg Reis eine Zeit lang stumm an. Als ich ihm etwas auf seinen kleinen Teller tat und ihm diesen reichte, quittierte er die Geste mit einem knappen Danke und schlang das Essen in sich hinein.“ Spätestens in dieser Szene wird jedoch deutlich, dass es Frau Shibata selbst ist, die diese Geschlechterrollen immer wieder bestätigt. Herr Tanaka muss sie nur wortlos anstarren und schon ist sie ihm zu Diensten. Klar, dass ihre männlichen Kollegen so ein unterwürfiges Verhalten schamlos ausnutzen. Das ist zwar nicht gerade ritterlich, aber bequem. Und so ist ihre Schwangerschaft ein Weg für sie, die (teils selbst gewählten) Muster ihres bisherigen Lebens zu durchbrechen. Ohne diese Notlüge wäre ihr das wohl nie gelungen. Doch jetzt kann sie jedes Mal, wenn ihr etwas gegen den Strich geht, ihre Schwangerschaft vorschieben. Natürlich ist das eigentlich konfliktscheu bis feige. Andererseits ist die Starrköpfigkeit, mit der sie ihre Lüge durchzieht, auch bewundernswert. Was Generationen von Frauen als Hinderungsgrund auf dem Weg zur Gleichberechtigung empfunden haben, ist für Frau Shibata die unerwartete Lösung: das ungeborene Kind. Erst dadurch wird Frau Shibata in ihrem Umfeld (und auch für sich selbst) zum Individuum, zur selbstbewussten Frau. Ist es feministisch, wenn eine Frau es nicht wagt, tradierten Mustern Kontra zu geben? Ist es feministisch, wenn sie sich stattdessen einer Notlüge bedient? Ist es feministisch, wenn diese Notlüge auf dem Inbegriff des Frauseins beruht? All diese Fragen schwingen in „Frau Shibatas geniale Idee“ mit, ohne dass Emi Yagi sie beantworten würde. Das überlässt sie dem Leser. Der Roman ist eine Entwicklungsgeschichte, aber auf verdrehte, neue Art. Diese Leserin ist nicht überzeugt davon, wie die Autorin die Schwangerschaft „auflöst“ - wie der Roman also zu einem Ende findet. Erzählerisch hat der Stoff einige Defizite. Doch als theoretisches Gedankenspiel funktioniert Emi Yagis Plot und regt unbedingt zum Nachdenken an.