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Buchdoktor

Posted on 3.10.2021

Der entsetzte Ausruf in einer Buchhandlung „Wenn ich gewusst hätte, dass P. D. James eine Frau ist, hätte ich das Buch doch nicht gekauft“, hat nichts an Aktualität eingebüßt. Die Überzeugung, dass hauptsächlich Männer ernstzunehmende Literatur verfassen, ihr Stil, ihre Themen und Sichtweisen die einzig relevanten seien, scheint nur schwer auszurotten zu sein. 2018 war in der Buch-Bubble der Sozialen Medien die Kritik nicht zu mehr zu überlesen, dass in Deutschland vergleichsweise weniger Bücher von Frauen verlegt und rezensiert werden, obwohl Autorinnen weder weniger noch schlechter schreiben als Autoren. Das Projekt der Uni Rostock #Vorschauenzählen durch Nicole Seifert & weitere Helferinnen brachte es an den Tag: es gibt deutsche Verlage, die nahezu ausschließlich Romane männlicher Autoren veröffentlichen, obwohl Umsätze im Buchhandel noch immer dominant von Kundinnen getätigt werden. Literaturgeschichten der 90er aus verschiedenen Ländern enthalten laut Seifert nur 10% Autorinnen, 30 Jahre später sind es bereits 18%. Nicole Seifert hat sich bereits einige Jahre lang mit zu Unrecht vergessenen Autorinnen befasst und kritisiert mit „Frauen Literatur“ den einseitig männlich geprägten Literatur-Kanon in Deutschland. Lehrpläne und Leselisten können eben nur die Literaturkenntnisse ihrer Herausgeber abbilden. Die Autorin beschreibt den Einfluss von Schaltstellen, an denen über die Zukunft von Romanmanuskripten entschieden wird: ob und in welcher Ausstattung sie verlegt, im Feuilleton rezensiert oder für spätere Generationen archiviert werden. Wer verlegt und rezensiert, entscheidet bei der Auswahl über die Relevanz eines Texts. Die üblichen Relativierungen der Schieflage lässt sie dabei nicht gelten, dass Frauen in vorigen Jahrhunderten weniger geschrieben hätten als Männer und dass Verlage ausschließlich nach der Qualität verlegter Texte entscheiden. Lange vergessene Autorinnen werden in Deutschland durchaus neu vermarktet, nachdem deren Bücher zuvor im Ausland erfolgreich verkauft wurden. Wirtschaftlicher Erfolg ändert allerdings nichts daran, dass Frauen als Kundinnen ihre Lektüre vielfältiger und diverser auswählen, während männliche Leser deutlich weniger interessiert sind an der Perspektive von Autorinnen. Kurz und gar nicht gut: an Wegkreuzungen, an denen über den möglichen Erfolg eines Romans entschieden wird (Verlag, Feuilleton, Archivierung), ziehen Autorinnen in Deutschland zu häufig den Kürzeren. Ein Roman wird seltener verlegt, rezensiert und archiviert, wenn er von einer Frau stammt, das Debüt einer jungen Autorin ist und dazu noch weiblichen Alltag abbildet. Seifert legt hier den Finger in die offene Wunde frauenfeindlicher Literaturkritik, in der es bei Autorinnen offenbar stärker um Alter, Frisur oder Familienstand zu gehen scheint als um den Text. Margaret Atwood beklagte diese offene Herablassung gegenüber Autorinnen durch Reduzierung auf ihr Geschlecht schon in den 60ern des vorigen Jahrhunderts. Seitdem hat sich rein gar nichts geändert, wenn man Rezensionen der Romane von Deniz Ohde, Karen Köhler oder Inger-Maria Mahlke auf ihre unverhohlene Frauenfeindlichkeit betrachtet. Die ernüchternde Bilanz des #Vorschauenzählens hat mich daran erinnert, dass in den 70ern in Deutschland meterweise Literatur von und über Frauen aus aller Welt verlegt wurde, teilweise jedoch in so schlechter Papierqualität, dass Uralt-Feministinnen ihren Enkelinnen kaum noch etwas davon vererben können. Die Frage, was in welcher Qualität verlegt wird, damit es überhaupt archiviert werden kann, ist demnach hoch aktuell. Über das Verschwinden und Verstummen von Autorinnen schreibt Nicole Seifert knapp und leicht lesbar.

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