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sommerlese

Posted on 25.9.2021

1947: Frida Köhle flieht vor dem Krieg aus Stettin und findet mit ihren Eltern auf dem Hof der Familie Gerken in der Wesermarsch eine Unterkunft. Für ihre Einquartierung auf dem Bauernhof muss die Familie schwer arbeiten. Doch sie beklagen sich nicht, aber damit ist Fridas Wunsch, Pianistin zu werden, erst einmal ausgeträumt. Ihre Kindheitsfreundin, die Anwaltstochter Erna, lebt in Varel, sie hat eigene Probleme, sie wird unehelich schwanger und hat von ihren Eltern keine Unterstützung zu erwarten. Können sich die Freundinnen hier in Norddeutschland einleben und wird es ihre neue Heimat? In diesem Buch erleben wir mit Frida Köhle und Erna von Geest zwei vom Wesen her völlig unterschiedliche junge Frauen, beide Freundinnen haben in Stettin am Konversatorium Klavier studiert, doch das Kriegsgeschehen zwang beide zur Flucht. Nun müssen sie sich in Norddeutschland eine neue Heimat aufbauen, doch das ist nicht so einfach, denn all ihr Besitz ist verloren und sie haben nur noch ihre Arbeitskraft. Damit entfallen all ihre Träume, Pianistinnen braucht man nicht in der Landwirtschaft. Die schwierigen Kriegs- und Fluchterlebnisse und das arbeitsreiche Leben als Geflüchtete auf dem Hof der Einquartierung hat Autorin Regine Kölpin mit anschaulichen und recht dramatischen Szenen beschrieben. All der bisherige Besitz der Menschen in den Ostgebieten ist für immer verloren. Nun steht der Kampf ums Überleben an erster Stelle und Frida packt auf dem Hof ordentlich mit an. Als sie ihre Freundin Erna schliesslich wiedertrifft, ist diese schwanger, eine Schande in den Augen ihrer recht eingebildeten Eltern. Die Köhles sind eine sehr liebenswerte Familie, sie kümmern sich um Erna und versuchen mit den Eltern zu vermitteln. Überhaupt kochen in diesem Buch viele Emotionen hoch, die Not schreckt nicht vor Überheblichkeit und Missgunst ab und doch gibt es Menschen, die für Freundschaft und Zuneigung alles geben. Atmosphärisch, bildhaft und sehr fesselnd erzählt Regine Kölpin das Schicksal der zwei Freundinnen, die auch nach ihrer Flucht fest zueinander stehen. Sie erzählt mit vielen Details aus dem Alltagsleben der Menschen, lässt die politische Situation mit einfließen und baut damit den damaligen Zeitgeist wunderbar in die Handlung ein. Mit viel Fingerspitzengefühl zeichnet Regine Kölpin lebendige und authentisch wirkenden Charaktere aus Fleisch und Blut und erweckt sie damit zum Leben. Dabei taucht man intensiv in die Erlebnisse und den harten Arbeitsalltag Fridas und Ernas ein, als wäre man ihnen persönlich ganz nahe. Die Nebenfiguren sind ebenfalls sehr eindeutig mit Charakterzügen versehen, sie alle bekommen ein "Gesicht" und sorgen mit ihrem Verhalten für spannende Lesestunden. Ein wunderbarer und sehr fesselnder Reihenauftakt, der die Nachkriegszeit und das Schicksal von Geflüchteten aus den deutschen Ostgebieten deutlich aufzeigt. Ich freue mich schon auf die Folgebände!

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