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Handlung: Für alle, die den (äußerst subtilen) Hinweis auf dem Cover überlesen haben: Mit "Der erste letzte Tag" hat Psychothriller-Bestseller-Autor Sebastian Fitzek KEIN THRILLER geschrieben! Zwar ist auch dieser Roman, der als Ablenkung während des zweiten Lockdowns entstanden ist, hochspannend, hat ein flottes Erzähltempo und lässt sich in wenigen Stunden weglesen, wie man das von seinen Thrillern gewöhnt ist. Statt Mord und Totschlag, Blut und Gedärme, Abgründe und Unmenschlichkeit gibt es hier aber philosophische Diskussionen, spritzige Gags, absurde Aktionen und eine zarte Freundschaft. Da Livius und Lea auf ihrem gezwungenen Roadtrip von München nach Hamburg allerlei schräge Dinge zustoßen - unter anderem flüchten sie aus einem Altersheim, schmuggeln Obdachlose in ein Luxushotel, tauschen einen Mietwagen gegen einen Schweinetransporter und lassen sich von einem tschetschenischen Masseur vermöbeln - sollte man besser etwas geistige Flexibilität mitbringen. Denn zugegebenermaßen ist die Handlung an einigen Stellen total überzogen und gerade zu haareraufend absurd - dennoch: der Pfad, den die Geschichte einschlägt, ist gerade durch diese ständige Überspritzung herrlich unvorhersehbar. Schreibstil: Sebastian Fitzek hat bisher nur in Interviews und Danksagungen bewiesen, dass er einen lebendigen Humor hat und sich ansonsten eher auf dunklere Emotionsgefilde konzentriert. In diesem neuen Genreexperiment konnte er sich jedoch ganz ausleben und hat mich damit so herzhaft zum Lachen gebracht wie schon lange kein Buch mehr. Neben vielen plastischen Vergleichen und unschlagbarer Situationskomik sorgt vor allem der selbstironische Erzähler dafür, dass man es dem Autor gerne verzeiht, wenn ein Witz mal nicht sitzt oder er es mit dem gelegentlichen Fäkalhumor übertreibt. Besonders gut hat mir aber gefallen, dass die Geschichte sich nicht allein auf platte Gags ausruht, sondern unter der spaßigen Verpackung tatsächlich auch ein ernstes Thema zum Vorschein kommt. Eine gewisse Tragik kann man dem Roman nicht absprechen, trotz der Endzeitstimmung des "ersten letzten Tages" strahlt die Geschichte jedoch große Leichtigkeit, Flexibilität und Freude am Leben aus, sodass "Der erste letzte Tag" auf jeden Fall unter die Rubrik "Wohlfühlbuch" zu verorten ist. Figuren: Genau wie die Handlung und der Humor sind auch die beiden Hauptfiguren etwas überzeichnet. Mit dem vorhersehbaren Lehrer, der bei jedem Schritt auf seinem Lebensplan cool und locker erscheinen will, aber schon lange seinen Weg verloren hat und der lebensfrohen, sprunghaften Idealistin, die als lebendiges Öko-Klischee durchgehen würde, treffen hier zwei sehr gegensätzliche Figuren aufeinander, die jedoch sehr ähnliche Werte vertreten und sich auf den 790 Kilometern zwischen München und Hamburg immer mehr annähern. Etwas schade fand ich, dass Lea im Kapitel 18 einmal selbst erzählen darf und dabei ihr wohlgehütetes Geheimnis schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt verrät. Hier hätte es der Autor seinen LeserInnen meiner Meinung nach schon zumuten können, bis zum Ende bei Spekulationen zu verbleiben. Gestaltung: Als letztes will ich noch kurz die tolle Gestaltung des Romans hervorheben. Das Cover ist ganz im Comic-Stil gehalten und zeigt ein blaues winziges Auto, in dem zwei Personen dem Sonnenuntergang über dem Meer entgegenfahren. In orangener Schrift weist außerdem ein "kein Thriller" darauf hin, dass Fans von Sebastian Fitzek hier nicht seine übliche Richtung vorfinden werden. Neben dem passenden Cover hat Illustrator Jörn Stollmann aber auch das Innere der Geschichte mit einfachen Schwarz-Weiß-Zeichnungen verschönert, die die wichtigsten Etappen von Livius´ und Leas Reise graphisch zusammenfassen. Ein Blick in "Der erste letzte Tag" lohnt sich also nicht nur wegen des Inhaltes! Die Zitate: "Was tun wir?" Lea sah mich an wie jemanden, der auf einer stillgelegten Rolltreppe darauf wartet, dass sie wieder anläuft. "Na, was wohl. Wir leben diesen einen gemeinsamen Tag lang so, als wäre es unser letzter." "Was zum...?" "Frag nicht." "Aber...?" "NEIN!" (...) "Aber du hast keine..." "Ja ich weiß. Ich habe keine Hosen an", schnauzte ich sie an und startete den Motor. Wie heißt es so schön? Man hat nie wieder eine zweite Chance, einen ersten Eindruck zu hinterlassen." Das Urteil: "Der erste letzte Tag" ist eine mitreißende Roadnovel voller philosophischer Diskussionen, spritziger Gags und absurder Aktionen, die vom Beginn einer Freundschaft erzählt und uns dazu anregen will, mal wieder etwas Verrücktes und Spontanes zu tun. Für dieses Fitzek-Genre-Experiment gibt es eindeutig eine Leseempfehlung von mir. Einen Stern abgezogen habe ich, weil Humor, Handlung und Hauptfiguren leider etwas überzogen sind.