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naraya

Posted on 22.9.2021

Eine junge Frau in einer Wohnung in Helsinki. Am Anfang wissen wir nur, dass sie auf der Flucht ist und unbedingt eine Aussage vor Gericht machen will. Wir wissen auch, dass sie nicht nur eine Namen hat: Nina. Sala. Adina. Der letzte Mohikaner – hinter jedem davon scheint ein völlig anderes Leben zu liegen. Aufgewachsen ist die Protagonistin Adina in einem Dorf an der tschechisch-polnischen Grenze, das vom Skitourismus lebt. Dort ist sie der einzige Teenager und nennt sich im Internet daher „Der letzte Mohikaner“. Nina nennt sie ihr Chef bei einem Praktikum in der Uckermark, weil er sich ihren richtigen Namen nicht merken kann und will. Sala hingegen ist sie nur mit Leonides, einem estnischen Professor und EU-Abgeordneten, den sie hier in Finnland kennengelernt hat und der sich für Menschenrechte einsetzt. Doch wer wird sich nun für Adina einsetzen? Antje Rávik Strubel erschafft mit „Blaue Frau“ einen ungemein vielschichtigen Roman, der sich erst nach und nach in seiner ganzen erschütternden Wahrheit offenbart. Die sprachgewaltige, emotionale Geschichte folgt der Protagonistin durch die Gegenwart, in der sie um Gerechtigkeit für sich selbst kämpfen muss und macht dann Sprünge in die Vergangenheit. Eingeschoben in den Erzählstrang ist außerdem eine Metaebene, in der uns die Titel gebende blaue Frau begegnet. Was es mit ihr genau auf sich hat, muss wohl jede/r für sich entscheiden – für mich persönlich kommuniziert hier jedoch die Autorin mit ihrer Figur. Vorrangig geht es im Roman sicherlich um sexuelle Gewalt (das ist kein Spoiler, sondern wird bereits sehr früh offenbart) und das Patriarchat, das eine solche Machtsituation von Männern über Frauen erst erschaffen hat. Darüber hinaus sind jedoch auch ungleiche Beziehungen (vom sozialen Status gesehen) und das damit verbundene Überlegenheitsgefühl West- gegenüber Osteuropas (vor allem gegenüber osteuropäischen Frauen und generell Arbeitskräften) ein Thema. Es sind die Abgründe Europas, die hier beschrieben werden und in denen wir unbedingt mehr für die Opfer tun müssen. Fazit: Ein Buch, das für mich völlig zu Recht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis steht

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