Buchdoktor
Cal Hooper hat sich noch in seinen besten Jahren in Chicago als Polizist pensionieren lassen und ein renovierungsbedürftiges Haus in Irland gekauft. Aus seinem früheren Leben gibt es in den USA Frau und Tochter und Cal wirkt noch etwas anfängerhaft in Hausarbeit, die keine Handwerkerarbeit ist. Nicht erst, als Trey, ein junger Typ im Hoodie, bei Cal auftaucht, fühlt er sich beobachtet, obwohl er keine direkten Nachbarn hat. „Hoodie“ schwänzt vermutlich die Schule, wirkt vernachlässigt, und will gehört haben, Cal wäre Cop. Dass unter den wachsamen Augen eines irischen Dorfes ein allein lebender Mann keine Freundschaft zu einem schulpflichtigen Jugendlichen pflegen kann, ist Cal von Anfang an klar. Und doch wäre es schade, wenn jemand handwerklich so geschicktes wie Trey als Schulschwänzer auf die schiefe Bahn geraten würde. Cals Tochter Alyssa sieht aus der Ferne sofort den wunden Punkt in der Beziehung ihres Vaters zu Trey: Falls du je wieder in die USA zurückkommen willst, sag dem Typen das bitte gleich und lass ihn nicht im Stich! Als bei Nachbar Mart ein Schaf getötet wird und als Trey auspackt, sein Bruder Brendan würde schon länger vermisst, klinkt Cals Ermittler-Instinkt ein. Er steckt in der Beziehung zu Trey und dessen Familie inzwischen so tief, dass er keine Wahl hat, als die Spur eines Jungen aufzunehmen, der sich für einen gerissenen Geschäftsmann hielt. Cal sucht freundschaftlichen Kontakt zum Ortspolizisten, kauft sich die Waffe, von der er schon immer träumte – und muss feststellen, dass er wie im Märchen vom Hasen und dem Igel offenbar stets mit hängender Zunge zu spät kommt. „Dies ist kein sanfter Ort“ sagt Cals Nachbar Mart, den der US-Cop wie so einige andere Personen auch völlig falsch eingeschätzt hat. Mich hat Cal allein deshalb fasziniert, weil ich ihm lange nicht abnehmen konnte, dass ein US-Cop völlig ohne familiäre oder berufliche Verbindungen neu nach Irland kommt. Irgendetwas musste doch auch Cal zu verbergen haben. In seinem unerwartet harschen Setting in der Nähe der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland funktioniert „Der Sucher“ als psychologisches Portrait zweier Einzelgänger ebenso gut wie als Ermittler-Krimi, bei dem Cal schon mal gegnerische Geschosse um die Ohren pfeifen. Tana French hatte ich noch immer mit Dublin Murder Squad auf dem Schirm; mit ihrem „Neuen“ konnte sie mich positiv überraschen.