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buchgespenst

Posted on 12.9.2021

Abraham Lincoln ist ein armer, mittelmäßiger Prärie-Anwalt mit politischen Ambitionen und wenig Erfolg. Seine Anwaltstätigkeit hält ihn kaum über Wasser, er kann sich nicht mal ein eigenes Zimmer leisten und seine Verhältnisse durch eine Heirat aufzubessern liegt ihm nicht. Als er sich in Mary Todd verliebt, ein Mädchen aus wohlhabender, einflussreicher Familie ist er hin- und hergerissen zwischen seinem Drang vor der Welt und ihren Anforderungen zu fliehen und dem Wunsch seinem Herzen zu folgen und seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Henry David Thoreau kämpft mehr als tausend Kilometer entfernt seinen eigenen Kampf gegen das Leben und seine Anforderungen. Er zieht sich in die Einsamkeit des Waldes zurück, fern von aller Zivilisation und versucht sich selbst und seinen Weg durchs Leben zu finden. Doch die Zivilisation folgt ihm – als verurteilende Nemesis und als fordernde Gemeinschaft, die von ihm Beteiligung und Unterstützung verlangt. Thoreaus Aufsatz Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat fällt auch Abraham Lincoln in die Hände und weckt lebhafte Entrüstung in dem eifrigen Politiker. Er macht sich auf, um den verantwortungslosen Autor zur Rede zu stellen. Ein spannender Roman, der mit leichter Hand Biographie und Fiktion miteinander verwebt. Besonders interessant fand ich die Parallelen in den beiden Erzählsträngen, die nebeneinander herlaufen. Gerade weil die biographische Elemente real sind, hat es mich fasziniert. Man kann sagen, dass der erste Abschnitt zu Abraham Lincoln von Stagnation geprägt ist, während gleichzeitig Thoreaus Passagen eine Dynamik aufweisen, die den Leser mitreißt. Ungefähr ab der Hälfte des Buches kippt diese Verteilung in die andere Richtung. Lincoln setzt sich in Bewegung und Thoreau resigniert und stagniert. Dabei wird es nie langweilig. Die Geschichte Thoreaus hat mich dabei mehr interessiert als Lincolns, da ich sie als komplexer empfand. Seine Philosophie, sein Drang sich von der Zivilisation zu lösen und die Unmöglichkeit ihr zu entkommen war faszinierend und gibt viel Raum zum Nachdenken. Ein tolles Buch, über zwei interessante Persönlichkeiten, die bei allen Unterschieden doch überraschend viele Gemeinsamkeiten haben. Nebenbei erhält man einen schönen Einblick in die Verhältnisse des Amerikas des 19. Jahrhunderts. Als Sahnehäubchen trifft man weitere bekannte literarische Gestalten wie Louisa May Alcott und Ralph Waldo Emerson.

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