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letterrausch

Posted on 8.9.2021

„The Southern Bookclub's Guide to Slaying Vampires“ - so heißt „Southern Gothic“ von Grady Hendrix im Original. (Einschub: Ich spare es mir an dieser Stelle, mich darüber aufzuregen, dass englische Titel im Deutschen mit einem anderen englischen Titel veröffentlicht werden. Ich merke einfach an, dass ich das für eine völlig verfehlte Praxis halte.) Was erwarte ich bei einem solchen Titel? Meine erste Assoziation war eine Gruppe Südstaatendamen, die es faustdick hinter den Ohren haben und mal so nebenbei ein paar Vampire um die Ecke bringen. Tja, ich lag falsch. Das macht aber nichts, denn „Southern Gothic“ ist trotzdem richtig gut! Unsere Protagonistin heißt Patricia. Patricia ist mit ihrem Mann (Psychiater) in einen schicken Vorort von Charleston gezogen, weil es dort so typisch amerikanisch zugeht. Alle sind nett zueinander, die weiße Mittelschicht bleibt unter sich (Schwarze dürfen höchstens zum Putzen vorbeikommen), die Kinder können gefahrlos draußen spielen, jeder kennt jeden und man macht sich kaum einmal die Mühe, die Haustür abzuschließen. Während ihr Mann Carter fast nur in der Klinik ist, um mit Überstunden zu beweisen, dass er eine Beförderung verdient hat, ist Patricia Hausfrau. Sie kutscht ihre Kinder hin und her, geht einkaufen, macht das traute Heim wohnlich und kümmert sich um Carters demente Mutter. Dass das zwar abendfüllend, aber intellektuell wenig fordernd ist, kann man sich sicher denken. Darum sucht sich Patricia einen Buchclub. Mit den Freundinnen, die sie in diesem Buchclub findet (eine reine Frauenveranstaltung), liest sie Krimis und vor allem True Crime Geschichten. Als jedoch seltsame Dinge geschehen und in der Nachbarschaft ein zwar vordergründig netter, aber doch irgendwie verdächtiger Mann einzieht, stellt sich die Frage: Bildet sich Patricia alles nur ein? Oder ist dieser James Harris wirklich ein Vampir? Ja, „Southern Gothic“ ist ein Vampirroman. Und ja, es wird in Teilen ordentlich eklig und auch blutig. Aber mehr noch als ein Vampirroman ist das hier ein Roman über Frauen, über Männer und über deren Verhältnis zueinander. Wenn der Vampiraspekt den Roman in Teilen schaurig macht, so sorgen die Beschreibungen einer (typischen?) Ehe aus den USA der 90er für echtes Unwohlsein. Carter lässt seine Frau mit allen Problemen allein, zieht sich aus dem Familienleben völlig heraus mit der Begründung, für seine Beförderung viel arbeiten zu müssen. Gleichzeitig redet er Patricias Gefühle, Ängste und Leistungen klein und schiebt sie stattdessen in die klinisch kranke Hysterieecke ab, so wie es Männer seit Hunderten von Jahren machen. Begehrt Patricia dagegen auf? Ein bisschen. Hat sie Unterstützung? Auch nur ein bisschen. Denn obwohl „Southern Gothic“ als Geschichte einer Frauenfreundschaft startet (und auch endet), ist es über weite Strecken hinweg eben kein Märchen über weibliches „Empowerment“. Auch Patricias Freundinnen sehen sich ehelichen, finanziellen und gesellschaftlichen Zwängen unterworfen und es dauert sehr lange, bis sie sich zusammenraufen. Für den größten Teil des Romans schreibt Grady Hendrix eben nicht über eine Gruppe Frauen, die füreinander durch dick und dünn gehen, sondern er schreibt über Frauen, die sich nicht trauen, ihren eigenen Instinkten zu folgen, weil sie gelernt haben, dass sie stattdessen auf ihre Männer hören sollten. Warum auch ausbrechen? Warum auch selbst denken? „Dein Ehemann arbeitet sich die Finger wund, um für dich und deine Kinder zu sorgen. Er ist freundlich, er erhebt die Stimme nicht im Zorn. Alles, was du brauchst, bekommst du, und trotzdem spinnst du dir aus lauter Langeweile deine grellen Fantasien zusammen.“ Es wäre viel einfacher, weiterhin im Duckmäusertum zu verharren, im bequemen Leben. Aber es wäre auch unehrlich und nicht integer. Es wäre falsch und feige. Doch weil jede der Frauen in ihrem eigenen Tempo zu dieser Erkenntnis finden muss, dauert es, bis die Clique aus dem tradierten Frauenbild ausbrechen und füreinander einstehen kann. Die Männer (die eigentlich immer nur am Rand stattfinden) haben es da einfacher. James Harris zieht ein, bringt einen Batzen Geld mit und kauft sich sofort in die Männerwelt des Vororts ein. Wie ein klassischer Männerbund stehen fortan die Ehemänner James Harris zur Seite, reden Patricias Anschuldigungen klein und bringen ihre eigenen Ehefrauen zur Räson. Ob sie – im Gegensatz zu den Frauen – tatsächlich nichts Verdächtiges an James Harris feststellen können oder ob sie schlicht beschließen, sämtliche Verdachtsmomente zu ignorieren, weil es ihnen finanzielle Vorteile bringt, bleibt dabei ungeklärt, da wir uns aus der Frauenperspektive nie herausbewegen. Und um den Frauen zusätzlich noch jeden „safe space“ zu nehmen, drängen sie sich schließlich auch noch in den Buchclub hinein. Letztendlich raufen sich die Frauen dann doch noch zusammen und treten gegen James Harris an. Bis dahin ist es ein langer Weg, der aus feministischer Lesart heraus oft geradezu körperliches Unwohlsein hervorruft. Und doch ist die Botschaft am Ende: „Keine von uns hätte das allein geschafft.“ Banal? Vielleicht. Aber der Weg bis zu diesem Punkt war es keineswegs. „Southern Gothic“ ist die geniale Verquickung eines Vampirromans mit dem subtilen Horror des Vororts. Absolut lesenswert!

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