mabuerele
„...Doch, wenn man aufmerksam ist, kann man die ersten Anzeichen schon erahnen. Es sind immer nur kleine Veränderungen, sachte und leise – der Rauchgeruch eines Feuers auf den Feldern, der mit einem Mal in der Luft liegt...“ Wir schreiben das Jahr 1878. Die 15jährige Paula Oppenheimer, Tochter eines Rabbiners in Berlin, diskutiert mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder Franz, ob schon Herbst oder noch Sommer ist. Noch ahnt sie nicht, dass für sie bald eine Veränderung ins Haus steht. Die Autorin hat eine berührende Familiengeschichte geschrieben. Man sollte wissen, dass der Hintergrund der Ereignisse auf realen Geschehen beruht. Der Schriftstil ist ausgereift und unterstützt die eher ruhige Erzählweise. Die Familie kommt zurecht, muss aber Zimmer untervermieten. Dem Geist der Zeit gemäß gibt es natürlich indem gutbürgerlichen Haushalt ein Kindermädchen und eine Köchin. „...Machst du dir wirklich sorgen um unsere Finanzen? Das musst du nicht. Wir haben nicht viel, aber alles, was wir brauchen...“ Eines wissen die Kinder genau. Auf ihre Eltern können sie sich verlassen, egal mit welchen Anliegen sie zu ihnen kommen. Schon in jungen Jahren zeigt sich bei Paula eine gewisse literarische Begabung. Sie unterhält ihre Geschwister mit Rätselgedichten. „...Es läuft und hat keine Beine, es gibt viele und doch nur eine. Wer zu viel hat, kann`s nicht verschenken, wer zu wenig hat, muss es beschränken. Bald geht es langsam, bald schnell...“ Auguste, Paulas Tante, die ebenfalls in Berlin wohnt, bietet der Familie an, Paula zu sich zu nehmen. Sie ist finanziell gut gestellt, hat keine Kinder und einen Mann, der beruflich häufig auf Reisen ist. Auguste hat viele Kontakte zu Künstlern und Schriftstellern, besucht Oper und Konzert. In diese Welt will sie Paula einführen und ihre musische Ausbildung fördern. Offiziell bietet sie Paula die Stelle einer Gesellschafterin an. Paula darf selbst entscheiden, was sie will. Gut werden ihre inneren Konflikte dargestellt. Für sie liegt die Zukunft noch im Dunkeln. Ein Studium ist nicht möglich. Bei der Tante genießt Paula mehr Freiheiten als im Elternhaus. Sie darf sich ausprobieren, um ihren Weg im Leben zu finden. Natürlich geht nicht alles reibungslos. „...Heimweh und Sehnsüchte sind tückische Gefühle. Sie gaukeln uns vor, dass das Gras auf der anderen Seite des Weges immer grüner ist...“ Das Zitat zeigt auch, dass die Autorin das Spiel mit Worten und Metaphern beherrscht. Eingebunden in die Geschichte sind etliche Briefe. Sie entsprechen dem Stil der Zeit: romantisch, voller Gefühle. Und es sind gerade Kleinigkeiten und kurze Bemerkungen in den Briefen, die die Zwischentöne des Buches ausmachen und Veränderungen verdeutlichen. Durch ihren Bruder Franz lernt Paula Richard Dehmel kennen. Nach und nach entwickelt sich eine besondere Beziehung. Doch sowohl die Tante, als auch die Eltern haben einen anderen Blick auf den jungen Mann als die verliebte Paula. Ihr Vater stellt ihr die entscheidende Frage: „...Macht er dich glücklich?...“ Sie sehen seine Arroganz und seinen Drang nach Selbstbestätigung. Paula kämpft für diese Liebe. Neben den Briefen sind es tiefgehende Gespräche, die einen Blick in die Seelen der Protagonisten gestattet. Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es ist eher leise Lektüre, die die historischen Gegebenheiten gut widerspiegelt.