monerl
Dieses Buch hat mich von Seite zu Seite immer mehr und mehr gefesselt! Dachte ich die ersten 70 Seiten noch, was haben denn alle mit diesem Buch, konnte ich es kurz vor Ende des ersten Teils nicht mehr aus der Hand legen. Und ab da habe ich alles an einem einzelnen Abend durchgelesen! Der Autor führt die beiden Hauptfiguren Olga und Herbert sehr unaufgeregt und trocken ein. Wir begleiten sie von ihrer Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Trotz des unterschiedlichen Standes finden beide zueinander, weil sie im Vergleich zu anderen Kindern in ihrem Umfeld aus der Masse heraus stachen, anders waren und gerade deshalb gegenseitig auffielen. Herbert und seine Schwester Viktoria, Kinder eines Gutsbesitzers und Zuckerfabrikanten, waren von Olgas Andersartigkeit und Wissensdurst fasziniert. "Herbert und Viktoria fanden die Neugier und Bewunderung, mit der Olga sich für ihre Welt interessierte, unwiderstehlich. Dass sie so schnell Freund mit ihr wurden, zeigte, wie einsam sie gewesen waren, obgleich sie es nicht gewusst hatten. (Seite 19f) Olga,die sehr früh ihre Eltern verloren hatte, keinen Zugang zur Großmutter fand, zu der sie nach dem Tode ihrer Eltern ziehen musste, eignete sich das Wissen aus der Höheren Mädchenschule im Alleingang an. Durch ihren Ehrgeiz schaffte sie es aufs staatliche Lehrerinnenseminar und durfte danach als Lehrerin Kinder auf dem Dorfe unterrichten. Herbert dagegen, dem alle Schulbildung offen stand, interessierte sich weniger für das elterliche Gut und die Geschäfte. Herbert suchte das Weite. Eine seltsame Sehnsucht gab es in ihm, die ihn stets unruhig werden ließ und ihn in und durch die ganze Welt trieb. Zwei ungleiche Menschen, verschiedene Charaktere und doch zwei Seelen, die sich nicht suchten aber dennoch fanden und irgendwann verliebten; gegen alle Regeln und Wünsche der Familie. Im ersten Drittel bettet Bernhard Schlink seine Geschichte historisch ein, formt seine Protagonisten, umreißt die Umstände und bildet den Grundstein für Olga und Herberts Liebe. Das alles wirkte weniger ergreifend auf mich. Ich nahm es an. Und dann, "Dann erklärte Deutschland Russland den Krieg" (Seite 100) und es machte -Knack- und die Geschichte fesselte mich! Und der bis zum zweiten Teil distanzierte Erzähler wird greifbar, er bekommt einen Namen und ein Gesicht. Ferdinand lässt uns nah an sich und seine Beziehung zu Olga heran. Wir bekommen einen anderen, einen gefühlvollen Einblick in Olgas Leben. Ein neuer Lebensabschnitt, eine neue Olga und ich hing an Ferdinands Lippen. Der dritte und letzte Teil, bestehend aus Briefen, lässt den Leser noch tiefer in Olgas Gefühlswelt und Seele blicken. Ganz nah an ihr dran, die vielen Emotionen, Erklärungen, gespickt mit Hoffnung, Sehnsucht und Erkenntnis, gingen nicht einfach so an mir vorbei. Der Autor schafft es, der Geschichte weiterhin einen Spannungsbogen zu geben, bis hin zum Schluss. Obwohl ich schon einen Ahnung hatte, freute ich mich über die Bestätigung am Ende. Dieses Buch, obwohl es viele historische Themen, wie bspw. den Völkermord an den Herero, den Ersten und auch den Zweiten Weltkrieg, erwähnt, reißt es diese Themen nur an und bleibt im Gesamten ziemlich minimalistisch. Aber für mich macht gerade diese Schlichtheit und Kurzfassung das Besondere am Buch aus. Es gibt keine Längen und auch kein Schwafeln. "Olga" passt genau in die Zeit, von der sie erzählt. Nichts ist beschönigt oder ausufernd. Immer genau auf den Punkt. Fazit: Ein besonderes und intensives Buch, das inhaltlich sowie sprachlich auf jeder Ebene punktet. Nicht ausschweifend und auch nicht zu kurz und mit Überraschungen aufwartet, die im Nachhinein logisch sind, die ich aber während des Lesens aus den Augen verloren hatte. Kunstvoll gelungen! Ein echtes Highlight in 2018!