schnaeppchenjaegerin
Die 39-jährige Jean Swinney arbeitet bei einer lokalen Tageszeitung in einem Vorort von London und ist dort für die Kolumne für Haushalts. und Gartentipps zuständig. Als sich eine junge Frau nach einem Zeitungsartikel über das Phänomen der Parthenogenese - der Jungfernzeugung - meldet und behauptet, dass ihre inzwischen zehnjährige Tochter das Ergebnis einer solchen unbefleckten Empfängnis ist, ist Jean, die nur auf eine Gelegenheit gewartet hat, anspruchsvollere Texte zu schreiben. bereit zu recherchieren und Gretchen Tilbury zu interviewen. Die junge Frau macht einen bodenständigen und vernünftigen Eindruck, ihre Tochter Margaret ist ganz entzückend und auch ihr besonnener Ehemann Howard zeigt sich offen für Fragen und zweifelt nicht an der Behauptung seiner Ehefrau. Weitere Recherchen Jeans und Interviews mit Bekannten Gretchens zum Zeitpunkt der Zeugung sowie diverse Untersuchungen von Medizinern können die These nicht widerlegen. Es gibt keine Zweifel an der Aufrichtigkeit Gretchens, die mit ihrer Geschichte weder an die Öffentlichkeit drängt, noch Geld verdienen möchte, aber eine seriöse Beweisführung ist dennoch schwierig und langwierig. Jean freundet sich in den Monaten ihrer Recherche mit der Familie an und kommt ihr emotional näher, als gut für sie und die Objektivität des Artikels ist. Dass Gretchen aufgrund der Aufarbeitung ihrer Geschichte eine unerwartete Entscheidung trifft, führt zu weiteren Schwierigkeiten und einem Gewissenkonflikt von Jean. Der Roman handelt im Jahr 1957, weshalb die Möglichkeit genetischer Tests noch stark eingeschränkt ist. Dennoch - oder gerade deshalb - ist es spannend, mit welchen Vergleichstests zwischen Mutter und Tochter die Ärzte zu belegen versuchen, dass an der Zeugung keine weitere Person außer Gretchen beteiligt war. Die Untersuchungen, die die Geduld von Gretchen strapazieren, geraten im Verlauf des Romans in den Hintergrund. Vordergründig ist vielmehr Jeans Leben, das durch ihre widerspenstige und unbeholfene Mutter derart eingeschränkt ist, dass sie kaum ein eigenes Leben führen kann. Mit den Tilbury freundet sich sich jedoch derart an, dass ihre Mutter zurückstecken muss. Mit Gretchen, die liebenswürdig und hilfsbereit ist, knüpft sie zarte Bande der Freundschaft, für Margaret wird Jean zu einer Tante, mit der sie Ausflüge unternimmt und zu dem sympathischen, integren Howard entwickelt sie Gefühle, die sie sich am liebsten verbieten würde. "Kleine Freuden" ist eine abwechslungsreche, spannende und berührende Geschichte, die sich weg von der Theorie und Beweisführung der Parthenogenese unerwartet entwickelt. Sie handelt von Freundschaft, Verantwortung für die Familie, von Pflichtbewusstsein, Tugendhaftigkeit, Begehren und unerlaubter Liebe. Die liebevoll gezeichneten Charaktere tragen die Erzählung und machen sie zu etwas ganz Besonderem. Bewegend wird geschildert, mit welchen inneren Konflikten die Figuren zu kämpfen haben und wie rücksichtsvoll und zurückhaltend sie auf sie reagieren und ihr eigenes Glück hintanstellen. Die Atmosphäre der späten 1950er-Jahre ist dabei deutlich spürbar und durch Details aus dem Alltagsleben der Protagonisten und den Ausschnitten aus Jeans Kolumne bildhaft beschrieben. Fragen von Anstand und Moral werden noch traditioneller beantwortet und gesellschaftliche Konventionen spielen eine größere, das Individuum einschränkende, Rolle. Sowohl der wissenschaftliche als auch der emotionale Erzählstrang ist so fesselnd beschrieben, dass man das Buch nur ungern aus der Hand legt und sich der Hoffnung hingibt, dass die Geschichte für alle Beteiligten, denen man ihre Gefühle nicht zum Vorwurf machen kann, glücklich ausgehen wird. Es ist ein Buch voller Charme, Nostalgie und unterdrückter Gefühle, das mir aufgrund seiner Warmherzigkeit und Vielschichtigkeit fesselnde Lesestunden bereitet hat.