Buchdoktor
Orphelia (Feelia) hat in South Los Angeles ein hartes Leben auf der Straße geführt und richtet nun als Icherzählerin einen flammenden Monolog – ja, an wen eigentlich? Es wird Zeit findet sie, dass „diese Frauen“ endlich zu Wort kommen, Schwarze, Prostituierte, Kellnerinnen, Frauen wie sie selbst, auf die gut situierte Villenbewohner herabsehen. Feelia ist offenbar von einem Freier angesprochen worden, zu ihm ins Auto gestiegen und hat nur knapp einen Mordversuch überlebt. Was Feelia vor 15 Jahren bei der Polizei anzuzeigen versuchte, hat damals offenbar niemanden interessiert. Die gesamte Handlung scheint von der Geringschätzung untertitelt zu sein, mit der noch kurz vor der Jahrtausendwende auf Frauen herabgesehen wurde, denen man die Schuld daran gibt, wenn sie Opfer von Gewalt werden. 15 Jahre später arbeitet Dorian Pankhurst in einem Fischimbiss mitten in dem Viertel, in dem in den 90ern vier junge Frauen ermordet wurden, deren Schicksale niemanden interessierten. Das letzte Opfer war Dorians Tochter Lecia, die zu jung und zu hellhäutig war, um in die Serie „dieser Frauen“ zu passen. Doch der Presse, die die Toten in den Schmutz zieht, ist das egal. Auch Dorian fällt aus der Reihe, sie kam vor Jahrzehnten von der Ostküste nach LA, um den Schwarzen Ricky zu heiraten, der längst nicht mehr lebt. Dorian kommt regelmäßig zur Polizeiwache ihres Viertels; denn sie fühlt sich seit Jahren verfolgt und bedroht. In Gedanken wendet sich die traumatisiert wirkende Dorian an eine Frau namens Idira, von der man als Leser erst viel später erfährt, was sie mit Dorian verbindet. Bei der Polizei scheint bis zum Rezeptionisten jeder Dorian zu kennen – bis auf Sergeant Esmeralda Perry, die nach einem schweren Unfall von der Mordkommission zur Sitte versetzt wurde und Dorians Problem zum ersten Mal hört. Essie Perry, klein, daher unauffällig und Latina, hört der Frau zu und entdeckt einen Zusammenhang zwischen einer aktuellen Mordserie und den Gewalttaten vor 15 Jahren. Vermutlich muss jemand denken wie Perry und selbst die Erfahrung gemacht haben, dass niemand einem zuhört. Perry lebt ähnlich wie „diese Frauen“ im Viertel, in dem sie auch arbeitet. Ohne Auto kann sie sich nur in dem Radius bewegen, den sie mit dem Fahrrad erreicht. Sie ist auf ihren Wegen ähnlich verletzbar wie die Gewaltopfer. Essie sieht ein Muster in den Taten. Könnten Serienmorde damals und heute vom selben Täter begangen worden sein – und warum pausierte der Täter jahrelang? Vor dem Wallpaper der Stadt Los Angeles entfaltet Ivy Pochada wie unter einem Vergrößerungsglas ein Stadtviertel, in dem sich die Wege von Tätern, Opfern und Zeugen gekreuzt haben müssen. Die Frauen, um die sich bisher niemand scherte, haben Angehörige, die die Taten nicht verwinden können. Sie waren Kundinnen in Dorians Imbiss, Lecia sittete damals ein Baby, das heute fast erwachsen ist, Prostituierte wurden ins Gewerbe eingeführt, Fotos von damals nutzt eine Künstlerin für ihre Installationen. – Und ein Elternpaar will seine Tochter unbedingt von der Straße fernhalten. „These Women“ ist ein raffinierter Genremix aus Krimi, feministischem Lehrstück und Großstadtroman, der zwischen mehreren Lösungsmöglichkeiten balanciert. Spannung entsteht durch die unterschiedlichen Perspektiven von Frauen, alle miteinander verbunden und von den Frauenmorden betroffen. Es geht u. a. um Lebensbedingungen in einer Stadt, die allein für Autofahrer angelegt wurde, um die Marginalisierung von Frauen als Gewaltopfer, denen eine Mitschuld an ihrem Schicksal gegeben wird, um Angehörige dieser Opfer, schließlich ist es die Geschichte einer kleinen, unkonventionellen Polizistin, die sich jeder Einordnung entzieht.